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Kultur: Entdeckung

Singakademie studiert Bruchs „Odysseus“ ein

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Von Max Bruch kennen Musikliebhaber in der Regel nur ein einziges Stück, aber das ist schlicht großartig: das Violinkonzert in g-Moll. „Ich kann dies Concert nicht mehr hören, habe ich vielleicht bloß dies eine Concert geschrieben“, klagte Bruch selbst über die Popularität seines ersten Violinkonzerts, das bereits zu seinen Lebzeiten alle übrigen Werke in den Schatten stellte. Die Aufführung anderer Werke Bruchs ist heute ein Novum. Der künstlerische Leiter und Dirigent der Singakademie Potsdam, Thomas Henning, hat sich gemeinsam mit seinem Chor dem Oratorium „Odysseus“ von Max Bruch angenommen und wird es im Nikolaisaal zu Gehör bringen.

In Potsdam ist nach 1945 noch kein chorsinfonisches Werk des 1838 in Köln geborenen und 1920 in Berlin gestorbenen Komponisten aufgeführt worden. Dabei stammen sieben Oratorien aus seiner Feder, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Programme der Chorvereine in Deutschland und England zu finden waren. Mit ihnen wollte der in der Tradition von Felix Mendelssohn Bartholdy stehende Bruch einen Gegenentwurf zu Richard Wagners Musikdramen schaffen. Bis auf „Moses“, einer Zentralfigur des Alten Testaments, sind die Oratorien weltlicher Natur. Mythen, Legenden oder Themen aus der Geschichte waren die Stoffe, mit denen er die chorsinfonischen Werke schuf. Zu ihnen hegte man im 20. Jahrhundert eine kritische Einstellung. So schrieb 1912 ein Rezensent nach einer Aufführung des Oratoriums „Arminius“: „Bruchs Musik ist, was man von einem anständigen deutschen Komponisten, der in den 1870er Jahren schrieb und der sein Handwerk verstand, aber nicht gerade mit Fantasie beladen war, erwarten kann: dichte, solide und unerschütterliche Polyphonie, in der gesunde deutsche Chöre den ganzen Abend lang mit viel Schweiß lautstark röhren könnten.“ Die Musikgeschichte ist bis heute über das Oratorienwerk des Komponisten hinweggegangen. Hat das damit zu tun, dass die ewiggestrige, die ganz auf Tradition bedachte Musik Bruchs, der mit Liszt, Wagner oder Mahler überhaupt nichts anfangen konnte, noch heute in den Köpfen von Dirigenten schwirrt?

Thomas Henning will nun mit „Odysseus“ aus dem Jahre 1872 den Komponisten wieder in den Konzertsaal holen. Bei aller Kritik an Bruchs manchmal vollmundiger Musik kann sie jedoch mit großer Sicherheit in der Formgebung glänzen und mit ihrer Melodik überwältigen. Aus Homers gigantischem Versepos hat Bruch Szenen ausgewählt, die beim Zuhörer jedoch voraussetzen, dass er das Ganze kennt. Zu seiner Zeit gehörte die Odyssee des Homer zum Kanon der Bildungsbürger. Die dramatische Irrfahrt des Königs Odysseus von Ithaka und seiner Gefährten wird bei Bruch selten mit dramatischem Gestus erzählt, eher mit lyrischen Beschreibungen, in denen die inneren Befindlichkeiten der handelnden Personen zum Tragen kommen.

Bei dieser spannenden Oratorien-Entdeckung werden neben der Singakademie auch die Brandenburger Symphoniker sowie unter anderen die Solisten Christine Wolff, Julia Halfar, Masami Morimoto und Thomas Wittig in der Titelpartie mitwirken. Klaus Büstrin

„Odysseus“ am 22. September, 17 Uhr, im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Eintritt: 12, 16 und 19 Euro

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