
© Andreas Klaer
Kultur: Entspannen mit Gamben
Der Instrumentenbauer Tilmann Muthesius veranstaltet am Samstag ein Symposium.
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Bei 1850 ist für Tilman Muthesius Schluss. Das ist das Ende der Barockvioline und damit seiner geliebten Darmsaiten. Wer auf denen nicht spielt, kann nicht damit rechnen, dass der Geigenbaumeister sein Instrument repariert. Muthesius ist spezialisiert auf barocke Geigen und Gamben. Derzeit repariert er allerdings in seiner Werkstatt in Klein Glienicke einen Kontrabass. Mit Metallsaiten. Eine Ausnahme, gibt Muthesius zu. Aber nur, weil der Kunde auch Gambe spielt und ein befreundeter Philharmoniker ist.
Was die Authentizität des Barock betrifft, ist Tilmann Muthesius ein strenger Mann. Im benachbarten Saal seines Havelschlösschens darf niemand auf Metallsaiten spielen. Viel zu laut, das Glockenartige falle weg, sagt er. Selbst die größten Geigenvirtuosen würde er ablehnen. Isabel Faust etwa dürfe nur mit ihrer Barockvioline auftreten.
Muthesius’ Kunden kommen aus aller Herren Länder, den USA, Taiwan. Seit Jahrzehnten ist er mit der deutschen Barockszene eng verbunden, auch für die Musiker des renommierten Freiburger Barockorchesters baut er die Instrumente.
Seit 2004 veranstaltet Muthesius außerdem jährlich ein Gambentreffen, bei dem sich Musikwissenschaftler und Musiker austauschen. Diesmal, am kommenden Samstag steht der Gambenunterricht im Mittelpunkt. Nicht ganz unschuldig daran ist Muthesius’ Frau Christiane Gehrhardt. Sie ist Gambenlehrerin und unterrichtet alle Altersgruppen und Leistungsgrade. Die gut 100 Jahre, die die Gambe als Instrument verschwunden war, haben der Gambenpädagogik letztlich gutgetan, sagt Gehrhardt. Anders als bei den klassischen Instrumenten beruht das Unterrichten nicht auf Grundlage von Traditionen, sondern von Quellen. Christiane Gehrhardt holt ein Lehrwerk aus dem Jahr 1584 hervor, „Il vero modo“. Damit ließen sich hiesige Lehrmethoden für den Instrumentalunterricht revolutionieren, meint sie. Der Schüler soll darin, statt Stücke zu spielen, die Sprache der Musik lernen, die Grammatik verstehen. Gehrhardt vergleicht die Methode mit Jazzunterricht, wo die Improvisation im Vordergrund steht.
Zu dem Symposium eingeladen sind eine Doktorandin, die über Gambenunterricht promoviert, eine Wiener Gambistin und Lehrerin sowie ein Experte für Musikkinesiologie, Arzt und Gambist. Denn wichtig sei vor allem, das Instrument entspannt zu spielen. „Sei nicht so aktiv“, fasst Tilmann Muthesius den Grundsatz des Gambenspielens zusammen. Mit dem Angespannten und Akkuraten der Klassik können weder er noch seine Frau etwas anfangen. Allein die Normierung der klassischen Instrumente ist Muthesius ein Gräuel. Die Kreativität werde damit abgewürgt, behauptet Muthesius und bringt seine Frau zum Lachen mit dieser eigentlich unzulässigen Zuspitzung.
Letztlich ist es sehr praktisch: Tilman Muthesius betreut Kunden, die eine Geige besitzen und das Instrument als Erwachsene lernen wollen, und überzeugt sie davon, dass Gamben geeigneter, da entspannter zu spielen sind. So vermittelt er sie an seine Frau für Probestunden. Die vermittelt wiederum zurück an ihren Mann, damit sich der Kunde eine Gambe bauen lasse, sagt Muthesius und schaut einen über seine Brille an, um sicherzugehen, dass der Humor, der dabei mitschwingt, auch angekommen ist.
Derzeit arbeitet Tilmann Muthesius an einer Gambe, die zu einem Cello umgebaut wurde. Muthesius soll den Rückbau vornehmen. Für ihn eine der größten Herausforderungen. Schließlich muss der Klang stimmen und vor allem: Nichts darf vom Originalmaterial der Gambe vernichtet werden. Das gute Stück stammt aus der Werkstatt des Hamburger Instrumentenbauers Joachim Tielke und ist fast 300 Jahre alt. Der verzierte Wirbelkasten etwa wurde einfach nach vier Löchern abgesägt. „Das ist recht brutal“, sagt Muthesius, aber im 19 . Jahrhundert durchaus üblich gewesen, Instrumente wurden immer wieder den Neuerungen angepasst. Respekt vor dem Original gab es nicht, der ist erst zusammen mit dem Mythos des Alten gewachsen. Muthesius zeigt an den Rändern der Cello-Gambe, wo einst Elfenbein eingearbeitet war. Mehrere Tausend Euro sei das Instrument wert. Wie viel Zeit er mit dem Instrument zubringen wird, weiß er noch nicht. Er schätzt zwischen 500 und 1000 Stunden.
Eine Herausforderung war auch die Gambe mit den acht statt wie üblich sechs Saiten. Muthesius sah sie im Pariser Instrumentenmuseum und begann, nachzuforschen. Für den Barockkomponisten Rameau soll sie gebaut worden sein, mutmaßt er. Bei den Musikfestspielen Sanssouci in diesem Juni soll sie zu Gehör kommen: in den Neuen Kammern – einem Saal, vergoldet wie die Gambe. Tilmann Muthesius hat sie nachgebaut.
Grit Weirauch
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