Interview mit Immendorff-Kurator: „Er jagte alles durch den Mixer: die Welt, die Erotik“
Die Villa Schöningen zeigt 40 Arbeiten von Jörg Immendorff. Der setzte sich in seiner „Café Deutschland“-Serie mit der deutschen Teilung auseinander. Kurator Michael Werner sprach mit uns über die beste Art, die Bilder zu betrachten.
Stand:
Herr Werner, was aus dem umfangreichen Werk Immendorffs bekommt man als Besucher in der Villa Schöningen zu sehen?
Man bekommt eine Art Mini-Biografie, das fängt mit LIDL an, geht über eines der Bilder aus der „Café Deutschland"-Reihe, und dann steige ich in die Totenwelt ein, wie ich es nenne. Das sind sehr späte Bilder, in der sich seine Methode komplett verändert hat. Er musste dann sehr viel am Computer arbeiten, es wurden digital die Versatzstücke gesammelt, die Immendorff haben wollte, und dann fast wie Collagen zusammengestellt. Er instruierte vom Rollstuhl aus. Auch das Thema änderte sich, es gibt fast nur noch ihn. In der Ausstellung hängt auch das letzte Bild, das er gemalt hat. „Selbstbildnis nach dem letzten Selbstbildnis", heißt es. Sehr traurig. Er als Affe mit einer Schauspieler- oder Varieté-Maske.
Wie bauen Sie die Ausstellung auf, die Räume sind hier ja, besonders angesichts der teilweise riesigen Werke, sehr klein.
Es wird ein Narrativ über den Künstler, locker und ungewöhnlich und hoffentlich ästhetisch erzählt.
Gibt es Themenräume?
Nicht unbedingt, aber es ist biografisch. Tafeln, Erklärungen, einen Katalog wird es nicht geben. Die Leute müssen sich mit dem zufriedengeben, was sie sehen. Das wird ja sehr gehasst. Viele werden sich vielleicht beschweren deswegen. Aber das Museum hat nicht die Aufgabe, die Leute zu erziehen, es ist nur dazu da, die Dinge sichtbar zu machen. Diese ganze Friede-Freude-Eierkuchen-Tendenz, mit der die Leute glücklich gemacht werden, das sehe ich nicht.
Glücklich gemacht wodurch?
Na ja, durch große Schilder, auf denen erklärt wird, was genau das Bild bedeuten soll. Es bedeutet ja nichts, ein Bild bedeutet ein Bild. Es passiert darauf nichts, außer dem, was kunsthistorisch oder interpretativ dazu zu sagen ist. Und das wechselt von Person zu Person. Natürlich, manche Bilder erzählen viel mehr Geschichten als andere. Zu Formalismus-Zeiten war das aber ein Beleg dafür, dass ein Bild schlecht ist, jetzt haben wir wieder narrative Zeiten, und jetzt bedeutet es, dass ein Bild gut ist, wenn viel darauf zu sehen ist, was man nachvollziehen kann. Das ist aber reiner Zufall. Ein Bild dient nie der Geschichtenerzählung.
Michael Werner, geboren 1939 in Nauen, ist Kunsthändler – und Immendorffs Galerist und Nachlassverwalter. Andere Künstler unter seiner Obhut sind Markus Lüpertz und Georg Baselitz.
Wozu dienen Bilder dann?
Na der Weiterentwicklung der Malerei über die Jahrhunderte.
Was ist mit den Werken aus der LIDL-Phase? Da gab es vor allem Performances. Wie stellen Sie das hier dar?
Ich habe Relikte ausgesucht, bei denen ich dachte, das kann man vielleicht gerade so nachvollziehen. Das ist eben eine historische Form. Immendorff hatte aufgehört zu malen, da war er noch in der Klasse von Beuys. Der vertrat ja diese These, es war also praktisch das Klassenziel. Eines Tages strich Immendorff dann das Bild, an dem er gerade malte, einfach durch, als Beuys in die Klasse kam. Darüber schrieb er: „Hört auf zu malen" - und Beuys war begeistert: Das sei das Beste, was er in den vergangenen Monaten gesehen habe.
Wie kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und der Villa Schöningen?
Die ganze Ausstellung kam nur zustande, weil das Haus hier ein Riesen-Problem ist. Das hat sich keiner überlegt, dass man hier eigentlich keine richtigen Ausstellungen machen kann. Dafür braucht man nämlich Leihgaben, die bekommen Sie aber nur, wenn Sie klimatisierte Räume haben. Ich als Privatmann konnte auf Werke aus dem Bestand meiner Galerie zurückgreifen, einige wenige stammen aus meinem Privatbesitz und dann kenne ich viele Menschen, denen ich Bilder verkauft habe. Die kann ich anrufen und mir das Bild ausleihen. Das geht aber nur, weil ich denen sagen kann: Hör mal zu, du bist doch froh, wenn du das Bild mal ein paar Tage nicht siehst!
Ursprünglich sollte es eine reine „Café Deutschland"-Ausstellung werden
Für so etwas habe ich gar keinen Sinn! DDR, Glienicker Brücke, also bitte schön. Dann sollen die hier gleich ein DDR-Museum draus machen. Eine Ausstellung mit diesen großen Werken aus der „Café Deutschland“–Serie - das ging eben auch nicht, weil die Räume hier nicht klimatisiert sind.
Wie viele Privatsammler mussten Sie denn anfragen?
Fünf. Nein: vier. Einer schied aus, da war die Ehefrau dagegen. Ich mag das aber, Improvisation. Und ich wollte, dass das hier eine interessante Nummer wird. So bekommt das einen etwas anderen Touch als diese Kunstgenuss-Nummer. Wird etwas inhaltlicher.
Es soll auch ein bisschen wehtun?
Ja, wehtun ist immer gut, das ist nur sehr, sehr schwer. Da gibt es ja nicht viel heute. Das Wehtun besteht ja darin, dass die Leute es hassen.
Gehasst wurde Immendorff doch aber damals auch, Ende der 60er-Jahre
Die waren damals aggressiv, bei „Jetzt" sprayten sie Farbe auf Bilder, er hat sich diesen linken Gruppen angeschlossen - die LIDL-Gruppe waren ja fast 20 Leute, dann ging er in die KPDML (Die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten/Leninisten). Das war so eine Spezialgruppe reicher Söhne aus Frankfurt. Für die versuchte er nun, als Maler zu agieren. Der Immendorff hatte auch ein Talent, immer das Falsche zu machen. Das brauchte er, sonst hätte er nicht weitergemacht, der brauchte diese permanente Reibung, das war seine Methode.
Warum?
Man muss ja begreifen, was ein Maler tut: Der bedeckt weiße Leinwände mit irgendwas - das ist irre schwer. Er brauchte also diese ständige Auseinandersetzung. Die politischen Gruppen dieser Zeit empfingen ihn nicht mit offenen Armen, für die waren Künstler Arschlöcher, Bilder reaktionäre Scheiße. Diese linken Gruppen - da herrschte ein kleinbürgerlicher Mief. Aber er versuchte, ihnen seine Bilder anzudienen, er malte Marx, Lenin, Engels, Stalin, und die stellten sie in den Keller.
Sie haben Immendorff jahrzehntelang begleitet, sind eigentlich auch sein Entdecker – was war Immendorff denn für ein Mensch?
Das habe ich mir nie überlegt. Er war ja Künstler und bei Künstlern überlegt man nicht, was ist das für ein Mensch, das ist da total wurscht. Es gibt vollständige Arschlöcher, die gut oder schlecht sind, vollständige Genies, die anstrengend sind – aber das ist egal. Man muss miteinander auskommen. Das zehrt alle Energien auf. Aber die Zusammenarbeit mit Jörg war sehr gut.
Wie haben Sie beide sich denn kennengelernt?
Er hatte damals gerade aufgehört zu malen, ich gerade als Maler-Galerist angefangen. Ich brauchte also Maler. Das war so 1971. Ich hab dann erst einmal alles gekauft, was er gemalt hatte und das jetzt irgendwo herumstand, im Keller. Er verkaufte mir das alles für einen Appel und ein Ei, er musste ja beweisen, dass ihm das nichts mehr wert war, die Malerei. Das heizte mich besonders an, ich kaufte die ganzen dicken Babys, die er malte. Und irgendwann war alles verkauft.
Wie hat ihm das gefallen, wo er doch nicht mehr malen wollte?
Damals durfte man ja eigentlich nicht malen, das war nicht modern. Man musste Konzeptkunst machen. Im Grunde ist das ja heute immer noch so. Wenn Immendorff Performances in irgendwelchen Tiefgaragen veranstaltete, zeigte er dort immer ein paar Bildchen aus dem LIDL-Raum. Ich fragte ihn, ob das Bilder sein sollten. Er sagte: Na was denn sonst? Verkaufen wollte er die nicht so recht, das war ihm egal. Er überließ sie mir für 300 Mark.
Ein wirklich politischer Künstler war er in Ihren Augen aber nicht?
Doch, Politik hat ihn interessiert, die „Café Deutschland"-Serie etwa ging ja über Jahre und die war natürlich politisch. Aber sekundär. Er war mehr Außenseiter, wie etwa auch George Grosz. Was ihren politischen Anspruch angeht, da unterscheiden sich die beiden aber. Da hat sich Immendorff versucht, aber „Café Deutschland“ etwa ist keine Systemkritik, wie man sie bei Grosz findet, dessen Bilder allesamt die Gesellschaft attackierten. Immendorff malte auch Meisterwerke, ließ die Politik aber nicht so stark in seine Disziplin herein. Er war nie ein Politphilosoph, eher für das Praktische zuständig. Sicher, es gab diese kurze Agit-Prop-Phase, seine Werke aus dieser Zeit sind fantastische Zeitdokumente. So etwas gibt es kaum noch. Aber bei Immendorff ist alles relativ naiv, sehr direkt, sehr unreflektiert, reines Talent, wenn man so will. Er jagt immer alles durch den Mixer: die Welt, die Erotik.
Hat er sehr assoziativ gearbeitet?
Eigentlich ging er ganz systematisch vor: Im Sommer war er immer weg, auf Fuerteventura oder so, dort zeichnete er seine Vorlagen. Er konnte dann aber - das zeigt zum Beispiel das Bild „Heben, Beben“, das hier in der Ausstellung hängt - das Bild direkt auf die Leinwand malen. Ohne Netz, ohne Projektor. Das war schon unvorstellbar ungewöhnlich, keiner der anderen Künstler, die ich kenne, hätte das jemals gekonnt. Der war auf seine Art verrückt, sein Gehirn konnte diese ganzen Eindrücke speichern. Er war aber auch ein Riesen-Arbeiter, hat immer viele Aquarelle gemalt und dann acht Wochen lang rangeklotzt. Von früh bis abends und dann in die Disko. Dann war eine ganze Wuppe fertig.
Was war das denn, das Sie von Anfang an an Immendorffs Werken fasziniert hat?
In einer Zeit, in der nicht gemalt werden sollte, suchte ich damals nach Bildern, die noch nicht gemalt worden waren. Um die Antwort zu vereinfachen: Wenn ich ein Bild anschaue, sehe ich gar nicht, was darauf zu sehen ist, mein Gehirn funktioniert so nicht. Mich interessiert nur die Struktur, wenn die nicht interessant ist, gucke ich nicht länger hin. Bei einem Porträt etwa achte ich gar nicht so darauf: Ist das ein Mann oder eine Frau. Mich interessiert das Verhältnis von hell und dunkel, die Farbkontraste, ist das Bild gewichtig, irritiert es mich? Das Motiv ist zweitrangig, meist ist es mir egal.
War er ein einfacher Klient? Es gab jede Menge Skandale, er war todkrank
Ich kannte praktisch jedes Bild, das er gemalt hat, habe die in regelmäßigen Abständen aus dem Atelier ins Lager gebracht. Zuletzt hatte er aber - bedingt durch seine Krankheit - immer Assistenten. Und dann wurden immer wieder Bilder gestohlen - das war teilweise wahr, teilweise ein Fake. Er brauchte Geld für Koks, fing an, Kopien seiner eigenen Bilder zu malen. Das hat ihn aber schnell sehr gelangweilt. Es gibt da einen Riesen-Prozess um diese problematischen Bilder, der endlos ist.
Was kann Immendorff, der sich an der deutschen Geschichte ja regelrecht abgearbeitet hat, uns heute darüber hinaus noch erzählen?
Die Frage ist merkwürdig. Warum sollte ein Bild aktuell sein müssen? Mein Anliegen ist die Entwicklung der Malerei. Das Wesentliche ist das Weiterführen der Malerei in neue Bilder. Da ist unsere Zeit auch ein wenig schwach auf der Brust. Das liegt an ganz bestimmten historischen Fakten, die Malerei musste abgeschafft werden durch die Avantgarde. Die ist aber bereits 120 Jahre alt, sie stinkt also langsam und alle wissen das. Aber keiner kümmert sich so richtig darum. Das ist auch ein edukatives Problem. Die Akademien sind heute eine Garantie dafür, dass sich die Kunst langsamer entwickelt. Es wäre mal wieder an der Zeit, sie abzuschaffen. Es funktioniert nicht, wenn man schon als Student lernt, was man tun muss, um Erfolg zu haben.
Das Gespräch führte Ariane Lemme
PERSON
Der Maler, Bildhauer, Grafiker und Aktionskünstler Jörg Immendorff war einer der berühmtesten und weltweit erfolgreichsten deutschen Künstler des späten 20. Jahrhunderts, bekannt für seine Kunst und sein wildes Leben. Immendorff starb, nach jahrelangem Siechtum, am 28. Mai 2007 an einer unheilbaren Nervenkrankheit. Die für die Ausstellung in der Villa Schöningen aus Privatsammlungen zusammengetragenen Werke aus den Jahren 1965 bis 2007 gelten als Beispiele der „Neuen Historienmalerei“. Sie sind bis zum 1. Juni zu sehen.
KUNST
Die Serie „Café Deutschland“ besteht aus 16 Gemälden aus den 1970-er und 80er-Jahren, die die Zustände im geteilten Deutschland thematisieren. Auf dem ersten (1978) reicht Immendorf seine Hand durch die Mauer hindurch Freunden in der DDR. Besucher der Cafés waren Zeitgenossen, Punks, Künstlerkollegen und Politiker. Das Nonsens-Wort LIDL, dem Klang einer Babyrassel entlehnt, diente als Etikett für seine postdadaistischen Happenings. 1967 zog mit einem schwarz-rot-gold bemalten Holzklotz vor das Bonner Bundeshaus – eine Provokation. (alm)
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