Kultur: „Erinnerungen eines Davongekommenen“
Ralph Giordano liest am Samstag in der Druckerei Rüss aus seiner Autobiografie
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„Ralle, mit Dir spielen wir nicht mehr, Du bist Jude“. Es war in den Sommerferien 1935 gewesen, als ein zwölfjähriger Junge in der Hamburger Hufnerstraße mit diesen Worten von seinem Freund begrüßt wurde. Für den Knaben, der bloß in Richtung Sandkiste gehen wollte, blieb auf einmal die Welt stehen. Ein Gefühl des Ausgeschlossenseins wurde zu einem schmerzhaften Erlebnis, das der Schriftsteller Ralph Giordano bis heute nicht überwunden hat.
In seiner Autobiographie berichtet der bekannte Autor und Journalist über sein Leben. Detailreich erzählt er von der behüteten Kindheit in einem jüdisch-italienisch-deutschen Elternhaus. Sein aus Sizilien stammender Großvater Rocco Giordano war nicht nur ein erstklassiger Leiter eines Blasorchesters und Liebling der Enkel gewesen, er war auch derjenige in der Familie, der nach richtiger italienischer Pasta verlangte. Die Großmutter mütterlicherseits, Selma Lehmkuhl, die im Alter eine enorme Leidenschaft für die Gartenarbeit entwickelte und die ganze Familie mit Obst und Gemüse aus dem eigenem Anbau versorgte, blieb für den Jungen die zweitwichtigste Figur seiner Kindheit. Die jüdische Herkunft der Mutter wird zuerst mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus ein Thema, denn seit 1933 verstärken sich Diskriminierungen und Verfolgungen gegen die ganze Familie. Von den Nachbarn denunziert, von der Gestapo verhört; das Leben dieser Familie wurde unerträglich. Nun gibt es für die Brüder Giordano (Ralph und Egon) eine einzige Aufgabe: die Mutter soll vor dem Schlimmsten beschützt werden. Mit Hilfe einer deutschen Nachbarin konnte die Familie in einem Kellerversteck überleben und die Mutter wurde auf diese Weise vor der Deportation gerettet. Am 4. Mai 1945 vollkommen entkräftet, erleben die Giordanos die Befreiung durch die Briten in Hamburg. „Die Scheiße hat also ein Ende“, wird ihre Retterin Schulz, die neue Sachlage kommentierend, zitiert.
Als die Autobiographie unter dem Titel „Erinnerungen einen Davongekommenen“ in diesem Frühjahr erschien, wurde sie sofort ein Erfolg. Es ist vor allem der ehrliche Umgang des Autors mit sich selbst, der den Leser beeindruckt. Giordano beschönigt nichts, er gibt seine Fehler wie die Tatsache, dass er Zeitlang ein Stalinist gewesen war, offen zu. Wenn er sich an seine Arbeit als Dokumentarist für das Fernsehen (NDR, WDR und SFB) erinnert, räumt er ein, leider das Ausmaß der ökologischen Katastrophe, welche die heutige Welt umfasst, damals in den 70er und 80er Jahren, nicht erkannt zu haben. Seine Berichte aus Afrika, Mittelamerika und Brasilien sollen dem Publikum lange in Erinnerung bleiben. Als Journalist blieb er immer nahe bei den Menschen, hörte einfach zu.
Über 1300 Morddrohungen hat der Publizist bekommen. Trotzdem behauptet er von sich, ein glücklicher Mensch zu sein. Er wird nicht müde, sich in schwierigen Fragen wie Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus oder wie zuletzt beim Bau der Kölner Moschee kritisch zu äußern. Und er wäre niemals „ein echter Giordano“, ohne seinen Humor. Zugegeben, seine Zuneigung zu den Tieren, vor allem zum australischen Wombat, hat etwas Rührendes an sich. Giordano liebt das Kino und außerdem Dampfmaschinen. Er selbst wird vorzugsweise von Frauen gemocht. Aus seinem Privatleben berichtet der Prominente mit Schal: Dreimal verheiratet und dabei bleibt es! Seine schriftstellerische Arbeit umfasst zahlreiche Titel, viele von ihnen sind dem Lesepublikum wohl bekannt u.a „Die Bertinis“, „Deutschlandreise“ und „Ostpreußen ade“ und es sieht so aus, dass neue Publikationen nicht lange auf sich warten lassen. Katarzyna Kaminska
Auf die Einladung des Brandenburgischen Literaturbüros und des Literaturladens Wist stellt Ralph Giordano sein Buch am 20. Oktober um 20 Uhr in der Druckerei Rüss, Ulanenweg 4 vor. Karten unter: 2800452 und 2804103
Katarzyna Kaminska
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