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Von Klaus Büstrin: Erkenntnistief und eindrucksvoll Oratorienchor Potsdam sang Matthäus-Passion

Der Kreuzgang an der Friedenskirche im Park Sanssouci ist kein heiliger Ort. Er war es noch nie.

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Der Kreuzgang an der Friedenskirche im Park Sanssouci ist kein heiliger Ort. Er war es noch nie. Des Königs Friedrich Wilhelm IV. Nähe zur mittelalterlich-christlichen Bauwelt Roms fand hier ihren sichtbaren Ausdruck. Aber nur als Staffage. Doch am Samstagabend wurde der Kreuzgang für viele Besucher, die sich auf dem Weg in die Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion machten, zu einem Ort, wo der Kreuzweg Jesu auf Bildern von der Potsdamer Künstlerin Almut Jungnickel geschrieben wurde. Als Schriftbilder. Eindringlich und bewegend wurde in ganz eigenen Interpretationen dem Leiden und Sterben mit kunstvollen Kalligraphien nachgegangen. Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, die Almut Jungnickel mehrmals als Mitglied des Oratorienchores Potsdam mitsingen konnte, hat sie zu Kunstwerken angeregt.

Auch an diesem Abend führte der Oratorienchor die zahlreichen Zuhörer mit der Matthäus-Passion durch die Leidensgeschichte Jesu Christi. Anklage, Folterung, Kreuzestod und Totenklage sind in diesem Bericht unüberhörbar. Doch auch die Erkenntnistiefe des Evangelisten, dass der Kreuzweg ein Weg zum Leben ist. Bach hat die Erzählung kongenial vertont. Nicht umsonst bezeichnet man den Thomaskantor als „fünften Evangelisten“.

Die Matthäus-Passion in der Friedenskirche, das bedeutete überschaubare und kompakte räumliche und klangliche Dimensionen. Kirchenmusikdirektor Matthias Jacob versuchte die Doppelchörigkeit mit durchsichtiger und differenzierter Gestaltung hörbar zu machen. Gut, dass der Cantus firmus „O Lamm Gottes unschuldig“ vom Kinder- und Jugendchor des evangelischen Gymnasiums (Leitung: Matthias Salge) von der Orgelempore gesungen wurde. So kam die stereophone Anlage des Eingangschores sowie des Chorals „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ gut zur Geltung.

Jacob ist mit allen Finessen des Schrift- und Notentextes der Passion eng vertraut. Eine episch-lyrische Erzählweise des Geschehens war genauso zu vernehmen wie die Dramatik, die die Handlung in wenige, dann jedoch kraftvoll ausgeführte Momente bündelte oder durch eine Vielzahl dynamischer Nuancen verstärkte. Licht und Schatten sind in den großen Rahmenchören zwingend verteilt: Der Eingangschor wirkte nicht erdrückend monumental, sondern bei aller Vielschichtigkeit gespannt und betroffen.

Der Barrabas-Ruf dröhnte, wie er dröhnen muss, die todbringende Forderung „Lass ihn kreuzigen“ kam mit tückischer Schärfe. Und die Choräle setzten den Affekt der Handlung und der Arien in kollektive Betroffenheit um. Wunderbar elastisch setzte der Oratorienchor dies um. Alles wirkte genau durchdacht und gleichwohl lebendig und tiefschürfend. Die wunderbare Disposition des großen Ensembles bildete die Basis für eine hervorragende Chorleistung. Gemeinsam mit dem Neuen Kammerorchester Potsdams, das durch vielfarbige Akzente für sich einnahm, schuf der Oratorienchor auf kleinem Raum große Bilder. Die durchweg vorzüglich musizierenden Instrumentalsolisten und die einprägsamen Continuo-Akzente fügten sich zu einem exzellenten Ensembleklang zusammen.

Der Evangelist postierte sich da, wo er in einem protestantischen Gotteshaus hingehört: Von der Kanzel herab referierte der fabelhafte, hoch gestimmte Tenor Peter Diebschlag, der für den erkrankten Uwe Stickert einsprang. Seine Erzählerpartie leuchtete er so unangestrengt intensiv und kommunikativ aus, dass man gebannt an seinen Lippen hing. In dem Bariton Sebastian Bluth hatte die Aufführung einen kultiviert singenden Christus, der sich jedoch gegen die dichte Zuschauer-Mauer stimmlich nicht immer durchsetzen konnte. Der Tenor Thomas Blondelle, der für Stickert die Arien sang, gab zu viel stimmlichen Druck. Und Andreas Bauer, Bass, wusste zwar die Partien des Pilatus oder des Petrus treffsicher zu gestalten, doch den Arien, vor allem dem so hoffnungsvollen Arioso „Am Abend da es kühle ward“, wusste er leider nur wenig innige Momente zu geben. Neben Diebschlag gingen von den Solistinnen die intensivsten Wirkungen aus: Astrid Kessler sang ihre Sopranarien mit warmer Stimme und berührender Gestaltung, Annette Markert brachte ihre reichen Erfahrungen in die Altpartie ein und formte durch feine Zeichnung und zarte Farben in den ihr zugedachten Arien meditative Andachtsbilder von suggestiver Wirkung.

Alles in allem eine bewegende Matthäus-Passion. Die Zuhörer gingen nach dem Ausläuten der Glocken still auseinander, vorbei an den Passions-Bildern von Almut Jungnickel.

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