Kultur: Erlebte Dorfgeschichte
Langzeit-Dokumentation machte Golzow bekannt
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Langzeit-Dokumentation machte Golzow bekannt Auf dem Dorfplatz des 1000-Einwohnerortes Golzow mitten im ostbrandenburgischen Oderbruch steht eine Stele mit den elf wichtigsten Daten der Ortsgeschichte. Neben der ersten Erwähnung von 1308 und mehreren Hochwassern ist auch das Jahr 1961 aufgeführt: „Drehbeginn Kinder von Golzow“, lautet der knappe Vermerk. In jenem Jahr entstand der erste Film der als einmalig geltenden Langzeit-Dokumentation von Regisseur Winfried Junge, der morgen seinen 70. Geburtstag feiert. Als Gratulanten werden auch ein rundes Dutzend Golzower nach Berlin reisen, wie Bürgermeister Klaus-Dieter Lehmann (FDP) ankündigt. Schließlich habe Winfried Junge das Dorf weltweit bekannt gemacht. Inzwischen umfasst die monumentale Dokumentationsreihe 18 Filme, die von Japan bis Südamerika und von Australien bis in die USA gezeigt wurden. „Wenn ich in Deutschland irgendwo hinkomme, werde ich gefragt: Sind Sie auch ein Kind von Golzow?“, berichtet Lehmann, der freilich älteren Jahrgangs als die Protagonisten der filmischen Langzeitbeobachtung ist. Angefangen hatte alles 1961, als Junge den Kurzfilm „Wenn ich erst zur Schule geh“ über 13 ABC-Schützen drehte. Der 1935 geborene Filmemacher war als Absolvent der Babelsberger Filmhochschule auf Golzow gestoßen, nachdem zuvor auch Eisenhüttenstadt und Briesen in die engere Wahl gezogen worden waren. Die Golzower Schule war eine der ersten neugebauten Bildungseinrichtungen im damaligen Kreis Seelow. Das Dorf, in dem die Genossenschaftsbildung gerade abgeschlossen war, bot zudem eine vollständige Infrastruktur. Später sprach man von einem Glücksfall, Golzow ausgewählt zu haben. Bis 2002 entstanden 18 Filme, die nicht nur das Schicksal der inzwischen an die 50 Jahre alten Golzower verfolgten, sondern auch ein Stück authentische Geschichte aus DDR- und Nachwendezeiten aufzeigen. Eine rund 60 Quadratmeter große Filmausstellung in der Schule des Ortes vermittelt einen Eindruck über die Langzeit-Dokumentation. 18 Aufsteller machen anhand von Fotos, Plakaten, Auszügen aus Drehbüchern sowie Ehrenurkunden mit jedem einzelnen Film bekannt. Weitere Tafeln informieren über Junge und seine Frau Barbara, die die meisten Streifen mitgestaltete. Besucher können auf alten Kinoklappsitzen Platz nehmen und per Video die Filme anschauen. Dauerleihgaben des DEFA-Filmarchivs Babelsberg und des Potsdamer Filmmuseums wie ein altes Landfilm-Vorführgerät und eine Original-35-Millimeter-Kamera mit vier Objektiven ergänzen das Ganze. Auch eine Schultafel aus der Anfangszeit, DDR-Geld und Pionierausweise können begutachtet werden. „Mit Ostalgie hat das nichts zu tun“, sagt Lehmann. Vielmehr werde hier ein Stück erlebte Dorfgeschichte vor und nach der Wende dokumentiert. Die meisten der porträtierten Golzower Schüler seien im Übrigen längst „ausgewandert“. Nur noch drei Männer lebten im Dorf, sagt Lehmann, eine Frau sei vor kurzem zurückgekehrt, um ihre Eltern zu pflegen. Junge, der hier öfter Lesungen hält und auch bei der Gestaltung neuer Ausstellungstafeln konsultiert wird, dreht unterdessen den 19. Golzow-Film, den angeblich letzten. Doch Lehmann, der fast täglich mit dem Regisseur telefoniert, glaubt nicht, dass der Jubilar sich zur Ruhe setzt. „Junge gehört zu den Golzowern“, sagt er. Jörg Schreiber, ddp
Jörg Schreiber, ddp
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