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Kultur: Exzess mit angezogener Handbremse

Der Themenschwerpunkt des studentischen Filmfestivals „Sehsüchte“ gerät eher poetisch und ziemlich brav

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So sehr sah es in Brandenburg noch nie nach Endzeit aus. Nahe Bad Freienwalde habe der Drehort gelegen, gibt die Regisseurin Udita Bhargava Auskunft. Zwei Männer in einem Wohnwagen in einer verlassenen Sandwüste, ein großer Ball aus Silberfolie geknüllt, eine rätselhafte Frau, die sich irgendwann lasziv auf dem Wohnwagen räkelt. Schließlich tanzen alle im Mondlicht, der Wohnwagen zerbricht und ein zuvor eingefrorener Fisch ist zum Leben erwacht. „Der Fisch ist für mich Gott“, erklärt Bhargava.

Der symbolreiche Film „Pitch builds a ball and destroys it“ ist Teil des diesjährigen Themenschwerpunktes „Exzess“. Viel Exzess findet sich bei Bhargava allerdings nicht, eher eine recht poetische, in Schwarz-Weiß gefilmte Sichtweise auf die Welt, was auch ganz schön ist.

Ein wenig härter geht es dagegen bei „Gasp“ zu. In dem Film von Eike Bettinga versucht ein nicht weiter benannter Junge, sich und die Welt zu erfassen, zu erfühlen. Er stülpt sich eine Plastiktüte über den Kopf, bekommt keine Luft mehr, schlägt im Duschraum lang hin. Er erwacht aus der kontrollierten Asphyxie und irrt mehr oder weniger ziellos durch Stadt und Wald. Dort trifft er auf einen anderen Jungen. Sie wiederholen das Experiment mit der Plastiktüte, diesmal gelingt die Wiederbelebung nicht. Für seine melancholische Geschichte hat Bettinga sehr schöne Bilder gefunden, auch wenn es gelegentlich ein wenig arg symbolhaltig wird. Ausgewogene Bildkompositionen, ein eher dunkles Farbspektrum, rauschende Wälder. Das ist melancholisch, ein wenig verklärt, aber formalästhetisch exzessiv, wie die Programmmacher versprechen, ist es nicht.

Bruce hat dagegen exzessiv gelebt. In Sri Lanka, wo die Filmemacher Simon Ostermann und Sebastian Pleuse unterrichtet haben, trafen sie Bruce und drehten „Exit“. Der Protagonist habe sich ganz großartig gefühlt, „Super-Bruce“, und hätte den beiden so sehr in den Ohren gelegen, „dass wir gar nicht die Wahl hatten, keinen Film über ihn zu machen“. In der Dokumentation schildert Bruce sein Leben nach einem Drogenentzug, der ihm nach 20-jähriger Abhängigkeit in Sri Lanka gelungen sei. „Jetzt brauche ich die Endorphine“, verkündet der etwas hagere Mann und schwingt sich auf ein Motorrad. Die exzessiv gelebte Zeit der Drogen habe ihre Spuren hinterlassen, erklären die Filmemacher. Bruce könne sich kaum länger als eine Minute konzentrieren, dementsprechend anstrengend seien die Dreharbeiten gewesen. Während des nun 10-minütigen Films schafft es der Ex-Junkie jedenfalls, den Zuschauer zu fesseln.

Bei „Studies on Hysteria“ verbündet sich ein Dorf von Nudisten gegen den einzigen Jeanshosen-Träger und lyncht ihn. Der Film schaut aus wie ein Werbefilm für die Arbeitshose. Bei einer Abstimmung im Publikum wertet ihn die Hälfte der Anwesenden auch dementsprechend. „Wir brauchten das Geld“, erklären die Filmmacher, ein richtiger Werbefilm sei es wegen der vielen Nackten aber nicht.

Die Filme der Reihe sind durchweg intelligent gestaltet und formal überzeugend. Filmemacher wie Peter Greenaway, Alejandro Jodrowski oder Ken Russel haben allerdings das Potenzial des Themas „Exzess“ bereits vielschichtig inhaltlich und formal ausgelotet. Im Vergleich dazu sind die Filme der „Sehsüchte“ doch recht brav.

Richard Rabensaat

Am heutigen Samstag um 17 Uhr und 19 Uhr gibt es zwei Kurzfilm-Blöcke im Kino Rotor, das Sehsüchte-Feature gibt es im Kino 2 der HFF um 20 Uhr. Dort laufen „Chippendale“ und „Love Alien“ und um 21 Uhr „Treffit“ und „Oh Boy“ im Rotor. Im Kino 1 der HFF wird ab 21 Uhr zu Musikvideos eingeladen und 22 Uhr startet die „Große Sehsüchte Party“ im Atrium. Sonntag um 19.30 Uhr ist die Preisverleihung

Richard Rabensaat

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