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Kultur: Federleicht und zentnerschwer

„Einmal alles bitte“: Alexander Gutsche stellt ab Sonntag in der Sperl Galerie aus

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Es sind Gleitflüge der Fantasie, die leicht und beschwingt in die Höhe führen und doch zielgenau auf die Klippen des Lebens zusteuern. Alexander Gutsches skurrile, fast fotorealistisch gemalte Bilderwelt, die ab Sonntag in der Sperl Galerie ausgestellt wird, sind bizarre Momente des menschlichen Mit- und Gegeneinanders: übergroß und haarklein herausgeschält. Man bekommt ihre Erzählfäden nur schwer zu fassen und wird es doch immer wieder versuchen. Denn gerade in ihrer Absurdität und zugleich tief geerdeten Bodenständigkeit packen diese Geschichten die eigene Neugierde beim Schopfe.

Da stößt man auf das Schwarz-Weiß gewandete Paar mit seinen Ferngläsern, jeder in eine andere Richtung blickend. Sind es Charles und Camilla? Egal, jedenfalls Mann und Frau, die statt aufeinander lieber unverdrossen in die Ferne schauen. Was werden sie wohl erspähen hinter dem Scherengitterzaun ihres mit Brennnesseln überwucherten Paradiesgartens? Die zwei Jungs in Seemannslook nehmen sie jedenfalls nicht wahr, die mit aufgestellten Paddeln zum Ablegen bereit in ihrem Rücken stehen. Ebenso wenig wie das Flugzeug über ihren Köpfen, das an einem ausgebrochenen Vulkan vorbei fliegt. Anders als bei den Aschewolken aus dem isländischen Vulkan Eyjafjallajökull lässt sich dieser silberne „Vogel“ nicht in seinem Flug bremsen. Der feuerspeiende Kegel auf dem Bild wirkt auch eher sanft als gefährlich, wie Katastrophenmeldungen, die uns täglich von irgendwoher erreichen, aber kaum noch etwas in uns auslösen. Es ist ja alles so schön weit weg.

Alexander Gutsche ist ein genauer Beobachter und wunderbar leichtfüßiger Fabulierer, ohne etwas für zu leicht zu befinden. Oft kommen die Geschichten auf ihn zu, türmen sich auf und brechen sich Bahn. So ist die sehr bedrohlich wirkende Skulptur „Chinesische Gotik“ eigentlich nur die Anhäufung des Spielzeugs aus dem Kinderzimmer seiner beiden Söhne. „Es kam im Müllsack in mein Atelier und dann ,spielte’ ich damit“, spöttelt der in Leipzig lebende gebürtige Potsdamer beim Aufbau seiner Ausstellung. „Man kommt einfach nicht vorbei an solchen Kram: Ob beim Aufreißen einer Cornflakes-Schachtel oder beim Besuch von Mac Donald – überall gibt es gratis dieses Zeug dazu.“ Mit schwarzem Lack überzogen wirkt dieser Berg von Dinosauriern, Autos, Flugzeugen und Rittern wie ein Friedhof der Kultur.

Der Künstler gibt in seinen Arbeiten immer auch ein Stück von sich selbst preis. Die „Seemänner“ in dem Bild „Monarchie und Alltag“ sind die eigenen Söhne. Und auch das Gummiboot, das er im Atelier detailgenau abmalte, gehört ihnen. Auf einigen Bildern spiegelt sich ein besonderer Schmerzpunkt wider: die Villa Rumpf. Dort lebte der Sohn des Defa-Dokumentarfilmers Kurt Tetzlaff, bis der Backsteinbau zur „Wunderkind“-Villa von Designer Wolfgang Joop wurde. In Gutsches Bild „Einszweidrei“ aus seiner Serie „ABC der Niederlagen“ steht sie in Flammen. Wie Gutsches Herz. Bis heute kann sich der Maler nicht dazu entschließen, sich noch einmal in ihre Nähe zu begeben.

Inmitten von Künstlern – sechs Mietparteien teilten sich damals das Haus am Heiligen See – erlebte er eine Kindheit in paradiesischer Umgebung, schwärmt Alexander Gutsche. „Es war ein absolutes Gegenprogramm zur Schule. Dort bin ich nicht gut klargekommen mit den Strukturen“, sagt er und betont zugleich, dass er damit nicht auf die DDR herumhacken will. „Zu Hause war es eben anders, vielleicht freigeistiger.“ Er behielt sein Zimmer in der Villa, auch als er zur Töpferlehre nach Velten und später zum Studium nach Leipzig ging. „Töpfern in der DDR war wie Geld drucken. Wir haben richtig Produktion gedreht. Das war zwar easy, aber jeden Tag das Gleiche.“ Als sein Betrieb, der VEB Umweltgestaltung und Bildende Kunst Potsdam, von der Treuhand abgewickelt wurde, kam die Arbeitslosigkeit. „Endlich hatte ich Zeit zum Malen.“ Dann gab es die erste Ausstellung: gemeinsam mit einer Freundin in Sachsen-Anhalt. Sie zeigte Keramik, er Bilder. Ein Kunstprofessor sah dieses Debüt und ermunterte Alexander Gutsche, zu studieren. „Ich habe immer und überall gemalt, selbst im Unterricht. Doch ein Studium, das traute ich mir nicht zu. ,Künstler, das sind doch solche Spinner’, dachte ich damals. Heute lebt ja jeder seine Meise aus. Im Osten war es eher eine Nische, so wie in der Ludwig-Richter-Straße in der Villa Rumpf, in der vier Maler wohnten.“ Alexander Gutsche, Jahrgang 1970, wurde sofort genommen, als er sich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bewarb. „Mit meinen 27 Jahren war ich fast Alterspräsident. Das Studium war wie ein Hauptgewinn, endlich Ruhe vor dem Arbeitsamt und Bafög dazu. Ich war immer flüssig.“ Schnell erkannte er, dass seine detailreichen und durchgepinselten Bilder schon ziemlich professionell waren. „Man konnte mich nicht mehr formen.“ Nur in den Formaten. „Mein Professor Sighard Gille hat mich immer gepiesackt, größer zu werden.“ Und das wurde der Meisterschüler schließlich auch. Wandeinnehmend sind sie heute, die so eigenwilligen „Gutsches“, die sich nirgends einordnen lassen. Im Osten hätte dieser anfangs etwas zurückhaltende, dann aber doch munter und ungeschminkt plaudernde Sinn- und Wahrheitssucher nie ein Kunststudium gemacht. „Da hätte ich lieber weiter getöpfert, ein bescheuertes Bauernhaus ausgebaut, mir einen Bart wachsen lassen und wäre verrückt geworden.“ Zum Glück kam es anders: für ihn und für die Kunstwelt. Und der Bart kann ja auch in seinem jetzigen geliebten „Spielberuf“ wachsen.

„Einmal alles bitte“ ist die Ausstellung bei Sperls überschrieben. Dieser Mann mit dem wilden Haar scheint sich vor diesem „Alles“ nicht zu fürchten. Er hält beide Arme auf und schwebt in seiner auch technisch kaum ergründbaren Kunst davon: federleicht und zentnerschwer.

Eröffnung Sonntag, 4. März, 14 Uhr, Sperl Galerie@Nikolaisaal, Wilhelm Staab-Straße 10/11, Mi bis So 12 bis 18 Uhr

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