
© Archivbild/AFP
Konzert: Feiern mit Familie Silly
Die Band Silly hat die Open-Air-Saison im Lindenpark mit 3000 Besuchern eröffnet
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Dieser Fan war ein hartnäckiger. Mit seiner aufgeräumten Mappe, aus der alte Silly-Alben und großformatige Hochglanz-Fotos lugten, wartete er am Mittwoch geduldig auf seine Chance vor dem Backstage-Bereich, bis Jäcki Reznicek zum Signieren kam. Frauen zückten Kameras und Handys: „Ich will deine Adresse!“. Zwei blonde Mädchen, kaum dem Kindergartenalter entronnen, nahmen den Bassisten zum Posieren in den Mitte. Am Rande der Großveranstaltung mit über 3000 Besuchern, unter einem leicht bewölkten Nachthimmel, während Roadies und Techniker hektisch die letzten Bühnenelemente zum Bandbus karrten, wandelte sich das Silly-Konzert zur Familienveranstaltung.
„Vielen Dank für einen geilen Abend!“ hatte Anna Loos eben noch von der Bühne gegrüßt. „Sie ist entspannter als im letzten Jahr“, sagt eine Zuschauerin. „Das ist schön“. Der Song „So ne kleine Frau“ passt irgendwie auch auf Anna, wie sie da vorn zwischen den Männern, die schon vor 30 Jahren Musik gemacht haben, herumspringt und die Hüften wiegt. Damals war die kleine Anna noch von Brandenburg aus nach Potsdam zu Rock-Konzerten gefahren. Heute singt sie für eben jene alten Fans, die sich dem Mythos „Silly gleich Ost-Rock“ nicht verweigern wollen, aber auch für eine wachsende Mehrheit von Anhängern, die in der Band einfach eine deutsche Musik-Formation sehen, mit der man immer noch und vor allem wieder rechnen muss.
So stehen da unten auf dem buckligen Betonfußboden Großeltern neben ihren Kindern mit Enkeln auf den Schultern. „Heute ist Kindertag!“, ruft die Sängerin in die Menge und prahlt ein bisschen damit, dass Silly bestimmt die kinderreichste Band Deutschlands ist. „Vierzehn müssten es sein, wenn man alle zählt, auch die der Gastmusiker“, staunt selbst Jäcki, nach der genauen Anzahl gefragt. Als Gast mit dabei wie immer in letzter Zeit an Kesseln und Becken der Schlagzeuger Ronny Dehn, den Potsdamern aus jahrelanger Zusammenarbeit mit Peter Schmidt bekannt. Als zweite Gitarre Herr Petereit, eine Leihgabe der Rockhaus-Brüder und an Keyboards, wahlweise Gitarre, Daniel Hassbecker aus der zweiten Generation, einer von den vierzehn. Gitarrist Uwe Hassbecker gehört mit Ritchie Barton an den Tasten und Bassist Reznicek – dem Mann, an dessen Namen schon mal eine Radiomoderatorin verzweifeln kann – zur Stammbesetzung jener Band, der es gelungen ist, den Ost-Rock-Staub abzuschütteln und gesamtdeutsche Gefilde zu erobern. Ohne dabei die Freunde an der Heimatfront verstimmt hinter sich zu lassen.
Das liegt zweifellos auch an Anna Loos. Sie singt selbstbewusst die alten Lieder, bei denen die Mittfünfziger im Publikum ein wenig wehmütig mitsingen und wieder den Blues von damals bekommen. Im Zweifelsfall hält sie ihr rotes Mikro hin zur Menge und lässt die Leute selbst machen: Schwer zu sagen, ob die Textsicherheit bei den alten oder neuen Titeln überwiegt. Dabei tun Silly etwas, das kaum eine Band mit Herkunft diesseits der alten Zonengrenze sich traut: im Programm stehen definitiv mehr Titel ihres neuen Albums „Alles Rot“, im Konzert geschickt dramaturgisch unterbrochen von einem Elektro-Akustik-Block mit alten Stücken, ohne die es (noch) nicht geht oder von denen sich die Band nicht trennen möchte. Denn sie gehören nun mal zur Historie, sie sind einfach schön.
Die diesjährige Sommertour führt sie auch wieder in westdeutsche Städte. Und auch da gibt es „Alles Rot“ plus Ostpaket. „Und alle singen mit“, sagt Reznicek. Mit dieser Platte sind sie wieder in die deutschen Album-Charts eingestiegen und derzeit auf Platz 23. An neuen Liedern wird gearbeitet, vielleicht kommt 2012 ein neues Album. „Aber erst, wenn wir selber damit zufrieden sind, wir lassen uns nicht unter Druck setzen“, betont der Bassist. Am Mittwoch irgendwo im Publikum auch der Textschreiber der Fab Four: Werner Karma. „Es ist wunderbar, Songs singen zu können, bei denen ich das Gefühl habe, dass die Leute mich verstehen“, richtet Anna Loos während des Abends Grüße an ihren langjährigen Begleiter.
Im Lindenpark ist es nach 80 Minuten fast komplett dunkel. Zeit für den Zugabenblock, der eine Weile dauern wird, und endlich heißt es: „In mir ist alles Rot“, Hassbeckers Gitarre leuchtet Purpur zu seinen weißen Hemdsärmeln, Barton hat sein Keyboard, wo jetzt Anna steht, verlassen und sich eine Gitarre gegriffen, und selbst Herr Petereit hat es aus seiner bevorzugten Hab-Acht-Stellung mit der Klampfe in die Senkrechte geschafft. Sie stehen nebeneinander am Bühnenrand und zeigen, wo der liebe Gott den Rock’n Roll verloren hat. Vier fröhliche Männer, Familie Silly und die Potsdamer Fans feiern das pralle Leben.
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