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Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 2016: Fest für Auge und Ohr
Rameaus „Pygmalion“-Version bei den Musikfestspielen mit Erfolg inszeniert und musiziert.
Stand:
Einen beeindruckenden Theaterabend, der den Übergang des „Großen Jahrhunderts“ König Ludwigs XIV. zum Zeitalter der Aufklärung Ludwigs XV. verdeutlicht, bescherte das Finale der diesjährigen Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Hatten im 17. Jahrhundert noch standardisierte Gefühlsdarstellungen das Sagen, so prägten im 18. Jahrhundert neue Liebesmodelle und die Natur als höfisches Arkadien, als Sehnsuchtsort die Gestaltungsformen in der Kunst, ob in der Malerei oder auf der Bühne.
Die Liebesszenen zeigten von nun an nicht mehr vordergründig zerstörerische Götter- und Heldenleidenschaften. Das göttliche Personal bestand eher aus den freundlichen Göttern, aus Venus und Amor. Zärtliche Zuneigung zwischen Individuen bestimmte die Kunst. Die Figuren der Pastorale, des Schäferstückes sind Menschen aus dem einfachen Volk.
In dem 1748 uraufgeführten Acte de ballet „Pygmalion“ des damals bei konservativen Musikfreunden umstrittenen französischen Komponisten und Musiktheoretikers Jean-Philippe Rameau gibt es Darstellungen einer eher beruhigten, innigen Liebe in einem höfischen Arkadien. Mit wachsender Begeisterung werden die Opern des vor 333 Jahren geborenen Rameau wieder aus dem Archiv geholt. Sein „Pygmalion“ hatte zu den Musikfestspielen im Hans Otto Theater Premiere. Für den großen Orchester- und Bühnenapparat war das Theater das richtige Haus. Die Musikfestspiele arbeiteten bei „Pygmalion“ mit dem impulsgebenden Centre de musique baroque de Versailles zusammen.
Mehr als 30 Bühnenwerke stammen aus der Feder Rameaus. Viele von ihnen entstanden für das Theater Ludwigs XV. Der Komponist wusste, was der König wollte und machte aus der Oper ein musikalisches und szenisches Fest. Wie in den französischen Barockopern üblich, herrscht ein munterer Wechsel zwischen Instrumentalstücken, Ballettszenen, rezitativischen Dialogszenen, liedhaften, doch kunstvollen Arien, die jedoch mit den groß angelegten Arien der italienischen Opern nicht zu vergleichen sind. Zudem erweist sich Rameau als Meister der abwechslungsreichen Orchesterbehandlung. Das Klischee vom verfeinerten französischen Geschmack – hier in Bezug auf Musik und Theater – hat fraglos seine Existenzberechtigung.
Die im 18. Jahrhundert beliebten Metamorphosen des antiken römischen Dichters Ovid wurden als Vorlage benutzt. Der Bildhauer Pygmalion hat sich in die weibliche Statue verliebt, die unter seinen Händen entstanden ist. Für seine Geliebte Céphise ist da kein Platz mehr. Amor, der Liebesgott, belebt die Statue. Ungläubig tastend und lauschend erhebt sich das Standbild von ihrer Marmorbank, die im Rokokopavillon eines anmutigen Parks steht. Sie lebt! Pygmalion singt ein Lob auf die Liebe. In das nun anhebende Fest mischt sich staunend das Volk, bei Rameau sind es Tänzerinnen und Tänzer sowie Choristen. Die Regisseurin und Choreografin Natalie van Parys versetzte das Geschehen in ein rokokohaftes Bühnenbild (Antoine Fontaine). Die Menschen, die in ihr auftreten, sind jedoch von heute, größtenteils in Jeans oder in T-Shirts gekleidet (Kostüme: Alain Blanchot).
Die Statue erhielt natürlich ein weißes antikes Gewand. Pygmalion wird als ein nachdenklich-träumerischer Künstler gezeichnet, der für sich die echte Liebe entdeckt hat, sich seine Geliebte selbst geformt hat. Natalie von Parys hat den acte de Ballet etwas statuarisch oratorienhaft inszeniert, doch wenn die höfischen und modernen Tänze ins Spiel kommen, dann wird die Aufführung mitreißend. Die temperamentvolle Tanzcompagnie Les Cavatines ist dann voll in ihrem Element. Auch die Gesangssolisten Anders J. Dahlin, der den Pygmalion mit großer Selbstverständlichkeit geschmackvoll singt, die mit klarer Stimmgebung intonierende Magali Arnault Stanczak als Statue, Chantal Santon-Jeffery als sängerisch auftrumpfende Céphise, die differenziert singende Jodie Devos als Amor sowie das Vocalconsort Berlin wissen sich tänzerisch ansprechend zu bewegen.
Als Vorspann von „Pygmalion“ gab es die Kantate „Die Muse der Oper“ von Louis-Nicolas Clérambault. Die mit einem reich bedachten Barockkostüm hohe Dame sitzt auf einem überbordenden Thron, aus dessen Innenleben so manche Gestalten der Opernwelt lebendig werden, und preist die musikalische Bühnenkunst mit expressivem Gesang. Chantal Santon-Jeffery weiß mit virtuos-triumphierendem Gesang die Muse zu verkörpern. Anschließend sind die sechs Tänzerinnen und Tänzer von Les Cavatines allein auf der Bühne und tanzen in einer abstrakten Choreografie „Die Charaktere des Tanzes“ nach einer Musik von Jean-Fery Rebel: unkonventionell, modern und mitreißend, ohne Effekthascherei.
Garant für das Gelingen des Opernabends waren der Dirigent Christophe Rousset und das Ensemble Les Talens Lyriques . Zwar wirkte der Orchesterklang im HOT-Graben etwas gedämpft, doch es wurde nichts zelebriert oder zerdehnt. Frisch, schlank und lebendig wurde musiziert. Da gab es kein eingefahrenes Interpretationsschema, sondern jedes Stück, ob Clerambault, Rebel und Rameau, hatte seinen eigenen Charakter. Dabei überraschten immer wieder neue Akzente im Klangbild, rhythmische Wechsel, Harmonieverschiebungen sowie solistische Passagen. Rousset hatte stets besten Kontakt zu den singenden und tanzenden Darstellern auf der Bühne, sodass „Pygmalion“ & Co. künstlerisch ein großer Erfolg wurde.
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