Kultur: Festival der Extreme
Vom 19. bis 30. Mai finden in der fabrik die 14. Potsdamer Tanztage statt
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Vom 19. bis 30. Mai finden in der fabrik die 14. Potsdamer Tanztage statt Noch ganz aufgeregt und sichtlich begeistert halten die Initiatoren der Potsdamer Tanztage das frisch gedruckte Programmheft ihres inzwischen 14. Festivals in den Händen. Was sich in dem kleinen zweisprachigen Wegweiser durch einen knallbunten Veranstaltungsmix vereint, lässt Vorfreude keimen. Tanzkünstler aus elf Ländern haben sich angesagt und schüren dank ihres unterschiedlichen choreografischen Spektrums Neugierde. „Wir haben auch diesmal kein Thema vorgegeben, sondern wollten die ganze Bandbreite, die heute den zeitgenössischen Tanz bestimmt, nach Potsdam holen. Als eine sich herausschälende Tendenz beschreibt der fabrik-Marketingchef die sich immer weiter ins Extreme steigernden Ausdrucksformen. „Es gibt immer weniger Tabus. Vor allem die norwegische Company Zero Visibility Corp. ist sehr grenzwärtig. Getanzt wird ein atemberaubendes Duo, das das Thema Beziehung radikal vorführt, ja es ist fast eine Vergewaltigungsszene zu sehen. Dem Publikum wird sehr viel zugemutet, aber die Spannung wird bis in die Fingerspitzen geführt." Laurent Dubost glaubt, dass Tänzer sich immer weniger davor fürchten, auch schwierige Themen zu stemmen. „Ein Zeichen, dass Tanz immer vielfältiger und freier wird. Er reicht vom Wimpernzucken bis zum abstrusen Verrenken des ganzen Körpers. Jeder kann eine Nische finden." Auch der Auftakt am 19. Mai zeige diese Entwicklung bis zum Äußersten. „Die brasilianische Gruppe Quasar Companhia ist zwar von der Tradition und der natürlichen Musikalität der Menschen ihrer Heimat inspiriert, aber sie bedient sich auch sehr stark des Humors, den sie bis zum Ende ausschöpft. In ihren Bewegungen zeigen sich die Brasilianer sehr zeitgenössisch. Überhaupt ist Brasilien das Land des Tanzes, das gerade entdeckt wird." Besonders gespannt sei er auf die in ihrem Land euphorisch gefeierte französische Compagnie Käfig, die Hip Hop, den Tanz der Straße, mit großen künstlerischen Ansprüchen mische und auch für andere zeitgenössiche Einflüsse offen sei. „Überraschend bei ,Käfig'' ist, dass vier Männer und vier Frauen auf der Bühne sind - eine Seltenheit in der männlich geprägten Welt des Hip Hop." Einen bis ins Äußerste gesteigerten spirituellen Weg schlage wiederum die Compagnie Paco Décina aus Frankreich/Italien ein. Mit der Deutschlandpremiere ihres Stückes „Soffio" (Atem) vereine sie wie in einem Atemzug Poesie und Sinnlichkeit in selten gesehener Präsenz. „Ihr Tanz wirkt fast wie eine Droge". Dafür habe sie eine spezielle Technik entwickelt, die die Verbindung des einzelnen körperlichen Organs zum Universum suche: „Tanz als Lebensprinzip." Dem Thema Männlichkeit gehen gleich zwei Stücke auf den Grund. Die Spanier Jordi Cortés und Damián Munoz zeigen ein Duett-Duell - „ein Stück über Dinge, die zerbrechen können". Die aus Leipzig stammende Heike Hennig hat mit vier Männern zum Thema Macht gearbeitet. Drei Generationen von Tänzern ist der „Abend der kurzen Stücke" gewidmet. Ganz minimalistisch zeigt sich der 1933 geborene israelische Tänzer Amos Hetz. Er wird flankiert von dem Mittvierziger Benno Voorham aus Schweden, der sich der Improvisation hingezogen fühlt. Eher konzeptuell arbeitet hingegen die junge Effi Rabsilber aus Deutschland, die sich bestimmten Themen ganz konsequent zuwendet, etwa den Fragen „Was ist Standard?" oder „Was verbirgt sich hinter der Agenda 2010?" Die drei letzten Stück im Festivalreigen widmen sich dem Problemfall Italien. „Dort ist es sehr schwierig, Stücke zu produzieren und zu tanzen. Das Land fördert kaum Zeitgenössisches. Dort hat eher das Konservative, wie Oper, Architektur und Ballett den Vorrang. Deshalb gehen viele interessante Leute ins Ausland oder arbeiten ganz hart, um etwas zu erreichen." Dazu gehöre auch Roberto Castello, der seit 20 Jahren Kult in Italien und im Ausland ist, aber sehr wenig Unterstützung erhalte. „Da er aber nur wenig Englisch sprechen kann, bleibt er eben in der Heimat", so Laurent Dubost. Früher habe Castello sehr theatralisch und witzig gearbeitet, inzwischen sei sein Tanz fast politisch. „Auch er ist sehr radikal in der Herangehensweise." Zum Thema Italien wird es während der Tanztage eine spezielle Diskussionsrunde geben. Aber auch zu den einzelnen Aufführungen bietet das fabrik-Team wieder Night Talkes an, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Insgesamt läuft das Festival 2004 etwas konzentrierter: statt über zwei Wochen sind die Aufführungen an zwölf Tagen zu sehen. Ursache war die unklare räumliche Situation der fabrik. Ursprünglich sollten im Zuge der Sanierung der Schiffbauergasse jetzt bereits die Bauarbeiter das Sagen haben. Da sich aber alles verzögerte, geht nun das Festival an angestammten Platz über die Bühne und wird sicher erneut beweisen, dass Tanzen im Trend liegt, wie Schirmherr Matthias Platzeck im Programmheft-Vorwort betonte. „Potsdams Veranstaltung ist jedoch etwas ganz Besonderes und genießt höchstes Renommee. Sie nimmt eine Kunstform auf, die zu den ursprünglichsten der Menschheit zu zählen ist. Hier interpretiert man sie auf das Modernste und richtet sie an höchsten Ansprüchen aus“, postulierte der brandenburgische Ministerpräsident. Heidi Jäger
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