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Kultur: Figuren entsteigen ihren Bildern

Emmett Williams „people“ werben knallbunt für das Museum Fluxus+: Vorerst im „art+life-shop“

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Frech und ungeniert streckt er seine Zunge heraus. Ganz und gar nicht göttlich wirkt dieser Sonnengott, den die Azteken Erhabener Adler nannten und dem sie unzählige Menschen opferten. Dieses fratzenhafte Antlitz wählte die Künstlerbewegung Fluxus zu ihrem Logo, als sie 1963 antrat, Grenzen niederzureißen: Grenzen zwischen Alltag und Kunst, zwischen einzelnen Genres, zwischen Künstlern und Publikum. Fluxus bedeutet fließend und auch in Potsdam soll es munter weiter fließen, auch wenn die Blütezeit dieser „Anti-Kunst“, die auf Ereignisse wie die Kuba-Krise, die Ermordung der Kennedy-Brüder und Martin-Luther Kings, auf den Vietnam-Krieg oder den Kalten Krieg reagierten, abgeebbt ist.

„Aber gerade deshalb sollte man das kleine Plus, das dem ,museum FLUXUS+“ beigefügt ist, nicht übersehen“, rät Kunsthistorikerin Manuela Lintl. Sie bereitet gerade eine Mini-Ausstellung vor, die ab morgigen Samstag um 11 Uhr in dem Laden „art + life - shop“ in der Dortustraße 16 Appetithäppchen verteilt und auf die Eröffnung des Museums im Dezember in der Schiffbauergasse neugierig machen soll. Dabei wollte diese Künstlergruppe, der auch Musiker wie John Cage und Yoko Ono angehörten, alles andere als ins Museum. Ihre Werke waren nicht auf Dauer angelegt. Was zählte war die Idee. Doch die Kunst betreuende Nachwelt geht ihre eigenen Wege, zumal sich viele Fluxus-Pioniere nicht mehr wehren können, es vielleicht auch nicht tun würden. Die meisten sind inzwischen verstorben, wie vor zwei Monaten auch Emmett Williams. Doch seine Kunst lebt weiter, ja sie wird morgen geradezu leibhaftig: Vier seiner „people“, farbenfrohe Figuren, die ihn von Kindesbeinen an künstlerisch begleiteten, entsteigen der Bilder. Es ist das erste Mal, dass sie in der Stadt auftauchen, und sie werden sich mehren und mehren, bis sie in ihre Heimstatt im einstigen Reitstall im Schirrhof der Schiffbauergasse einmarschieren und dort wieder bildhaft werden. Williams, der Poet unter den Fluxuskünstlern, hat die Ideen für die Kostüme seiner „people“-Menschwerdung noch persönlich gezeichnet. Er schien also dem Museumsgedanken nicht ganz abhold. Designerin Meike Deter vollendet nun diese Entwürfe und schneidert den vorerst vier „people“-Darstellern die knallbunten Kostüme auf den Leib.

Gegenüber den fidelen Gesellen von Emmett Williams wirkt der Holzkopf von Lutz Friedel in dem Galerie-Shop geradezu statuarisch brav und lässt sich dem Fluxus-Gedanken kaum zuordnen. Doch dieser Kopf ist nur einer von über Hundert in der Reihe „Walhalla der Namenlosen“, „und wenn diese übereinander gehäuft liegen, provoziert das ein ganz anderes, verstörendes Gefühl“, so Manuela Lintl. Die kleine Ausstellung gibt also nur eine Ahnung von dem, was folgen könnte. Wie auch bei den Arbeiten von Constantino Ciervo zur Globalisierung. Oder die Miniature-Glaskunst „Marias Hüfte“ von Hella De Sanatrossa, deren Pyramide im warmen Blau auf dem Berliner Theodor-Heuss-Platz leuchtet. Auch sie stimmt nur verhalten eine Ouvertüre an, deren Klangwelt sich im großen Haus entfalten soll. Was von der einst rebellischen Fluxus-Kraft noch fruchtet oder dazukommt, darüber kann also erst im Dezember richtig befunden werden.

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