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Schreckliche Geheimnisse. Ein junger Südafrikaner ist seit der Kindheit traumatisiert (l.), der Russe Ivan Bulkin stellt sich gegen sein Schicksal (r.u.). Festivalchefin Christina Schröder und Studentin Kasia Swiezak erwarten ab heute die Sehsüchtigen.

© M. Thomas/Sehsüchte

Von Jan Kixmüller: Filmsprache, sehr jung

Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ wird heute Abend eröffnet. Zu sehen sind über 140 Nachwuchsfilme

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Wir schauen in einen dunklen, verlebten Hausflur. Ein seltsamer Mann im Trenchcoat sucht die Briefkästen ab. Als er schließlich bei Ivan Bulkin vor der Haustür steht, versucht der ihn noch abzuwimmeln. Ohne Chance. Er ist ein Gesandter von ganz oben, er hat das Drehbuch dabei, in dem steht, dass heute Bulkins letzter Tag ist. Bulkin soll bestätigen, dass er mit seinem Leben zufrieden war. Er weigert sich, doch seine Weigerung muss er schwarz auf weiß im Skript des Beamten nachlesen. Alles steht in dem Text, jeder Satz, den er sagt, jede Bewegung. Es gibt scheinbar kein Entrinnen.

Satirisch-grotesk wie bei Daniil Charms, fantastisch-geheimnisvoll wie bei Bulgakow erzählt der russische Filmemacher Aleksey Andrianow diese Geschichte in „The Last Day of Bulkin I.S.“ (Mittwoch, Thalia 1, 22 Uhr). Es ist einer von über 140 Filmen, die ab heute Abend auf dem 39. internationalen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ in den Thalia-Kinos zu sehen sind (bis 25. April). Die Sache geht schlecht aus, aber nicht unbedingt für Bulkin. Eine schöne Idee, die recht nostalgisch in altbewährter langsamer Bildsprache daherkommt und doch auch einen Beitrag zur aktuellen Debatte um den freien Willen abgeben könnte. Sehr Sehenswert.

Neben dem vielschichtigen breiten Bogen von Spiel- über Animationsfilm bis hin zu Musikvideos, Kinderfilmen und einer Hans Christian Schmid-Retrospektive (Regisseur von „Requiem“) wird in diesem Jahr der spezielle Fokus der „Sehsüchte“ auf Filme aus Südafrika gerichtet. „Da im WM-Jahr 2010 alle Medien auf das Land blicken, wollen wir Filme aus dem Land zeigen“, sagte Fokus-Leiter Moritz Klausing am Montag vor der Presse. „Uns hat interessiert, welche Geschichten junge Menschen aus Südafrika heute mit ihren Filmen erzählen“. Der selbst aus Südafrika stammende Michael Hammon, der in der Fokus-Jury sitzt und an der HFF Dozent ist, verriet, dass viele der Filme vom Thema Gewalt bestimmt sind. „Dabei ist die Filmsprache noch sehr jung“, sagte er. Das Land suche noch seine filmerische Handschrift. „Das macht es so spannend“, sagte Hammon.

Das Thema Gewalt reflektiert auch der Film „My Brother and the Ashes“ von Zwelisizwe Ntuli (Donnerstag, Thalia 2,19 Uhr). Das Gesicht des kleinen Jungen, der mit ansehen muss, wie sein Vater als Verräter bezichtigt und von einer aufgebrachten Menge mit Benzin übergossen und angezündet wird, das wird man so schnell nicht mehr los. Die Qual muss unendlich groß gewesen sein, der Junge verliert darüber die Sprache. Noch als junger Mann spricht er kein Wort, bis sein jüngerer Bruder hinter das schreckliche Geheimnis kommt.

Zu dem Südafrika-Schwerpunkt haben die Sehsüchte zahlreiche Filmemacher von dort eingeladen. Ob allerdings alle bis Mittwoch in Potsdam eintreffen werden, ist aufgrund der Lage im europäischen Flugverkehr noch sehr unsicher. Auch die Anreise aus anderen fernen Ländern dürfte sich dadurch kompliziert gestalten. Der Filmnachwuchs von der chinesischen Partner-Hochschule sitzt zurzeit ebenso noch fest. Aus den europäischen Nachbarländern hat das Sehsüchte-Team indes positive Signale erhalten. „Die Ungarn nehmen den Bus, die Franzosen bilden Fahrgemeinschaften“, berichtete Christina Schröder, die sich in diesem Jahr die Festivalleitung mit Andreas Meissner teilt.

Aus anderen, terminlichen Gründen musste die Nachwuchs-Schauspielerin Fritzi Haberlandt („Liegen Lernen“) gestern ihre Teilnahme an der Pressekonferenz zum Festival absagen. Wie das eben so ist bei den Filmleuten, immer unter Strom, immer unterwegs. Ihre Aufgabe in der Jury wird sie allerdings wahrnehmen. Die Jurys sind in diesem Jahr wieder hochkarätig besetzt, da findet sich etwa Regisseur Wolfgang Becker („Goodbye Lenin“) und Kameramann Fred Kelemen neben Fritzi Haberlandt und weiteren Mitgliedern in der Spielfilm-Jury. Auch sind unter den Juroren vertreten: Adolf-Grimme-Preisträger Christian Beetz (Dokumentarfilm) und Regisseur Dirk Bertram („Berlin Berlin“ / Animatonsfilmjury). Die Preisverleihung des von Studierenden der Potsdamer Filmhochschule HFF organisierten Filmfestivals findet dann am 24. April im Thalia-Kino statt.

Während die Festival-Initiatoren gestern noch damit beschäftigt waren, ihre Gäste durch das Luftverkehrschaos zu lotsen, entstanden im Foyer der HFF eigentümliche Räumlichkeiten. Die angehende Bühnenbildnerin Kasia Swiezak baute hier die Filmsets von „Avatar“ und von „Außer Atem“ nach, als Party-Lounge für die Eröffnungsfeier. Filmzitate, bekannte Filmszenen und legendäre Schauplätze großer Filmklassiker werden sich in dieser Nacht an der HFF wiederfinden, als Zeitreise durch die Filmgeschichte. Man kann sich aber auch einfach darin niederlassen und über die gerade gesehenen Filme nachsinnen.

Eröffnungsparty heute ab 22 Uhr (Eintritt frei), mit El Cartel, Supershirt, Sterngucker aka Micronaut, in der HFF, Marlene-Dietrich-Allee 11. Filme ab Mittwoch im Thalia; Programm: www.sehsuechte.de

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