Kultur: Flucht, Exil und Hoffnung
Singakademie musiziert Brahms und Schönberg
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Johannes Brahms wollte mit seinem Requiem nicht in erster Linie Trauer- sondern Trostmusik schreiben. Er vertonte nicht den lateinischen Text der Totenmesse, sondern wählte aus dem Alten und Neuen Testament Psalmen und Worte in der deutschen Übersetzung Martin Luthers aus, die ihm persönlich besonders viel bedeuteten. Mit der Seligpreisung aus der Bergpredigt: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“, wird das Werk durch den Chor eingeleitet.
Und dieses Trostwort aus dem Neuen Testament hat Thomas Hennig, der seit dem Herbst des vergangenen Jahres Dirigent und künstlerischer Leiter der Singakademie Potsdam ist, als gedanklichen Faden für das morgige Konzert des Sinfonischen Chores, bei dem auch Mitglieder des Kinder- und Jugendchores (Einstudierung: Konstanze Lübeck), Christine Wolff (Sopran), Heidi Kolboske (Alt) Guillaume Francois (Tenor), Michael Adair (Bass), Jaron Löwenberg (Sprecher) sowie das Deutsche Filmorchester Babelsberg mitwirken, ausgewählt. Es geht, so Thomas Hennig, in dem Programm im Nikolaisaal um die „unfreiwillige Reise, die verächtliche Vertreibung und Verfolgung, um Flucht und Exil“.
Neben dem „Deutschen Requiem“ erklingen die Alt-Rhapsodie von Brahms, „Ein Überlebender aus Warschau“ von Arnold Schönberg und als Uraufführung „Exil“, ein Werk, das Thomas Hennig komponierte. Die Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester mit dem Text aus Goethes „Winterreise im Harz“ gibt eine ganz persönliche düstere Stimmung eines Menschen wieder. Auf seine Frage „Ach, wer heilet die Schmerzen?“ hält der Männerchor zum Schluss tröstende Momente bereit.
Zu einer alttestamentarischen Größe und frappierenden Allgemeingültigkeit gestaltet sich Brahms‘ 1868 entstandenes „Deutsche Requiem“. „Ich habe meine Trauermusik vollendet als eine Seligpreisung der Leidtragenden“, erklärte der Komponist einem Freund. In den Solopartien bedenken Sopran und Bariton die Endlichkeit des Lebens auf Erden und der Chor weiß die Hoffnung auf die „lieblichen Wohnungen“ des Herrn zu verkünden. Erst später fügte Brahms dem Werk als fünften Satz einen Passus aus dem Johannesevangelium zu: „Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will Euch wieder sehen “ Und hier verstärkt sich noch einmal sehr eindrucksvoll der Hoffnungsgedanke, Tröstliches.
In Arnold Schönbergs 1948 uraufgeführtem Werk „Ein Warschauer aus Warschau“ für Sprecher, Männerchor und Orchester scheint kein Trost möglich zu sein. Das Maßlose und Ungeheure des Terrors im Warschauer Ghetto thematisiert Schönberg auf bedrückende Weise. Und doch lässt der Komponist eine Gruppe jüdischer Gefangener hoffnungsvoll das Lob Gottes anstimmen. Der Komponist, der 1933 Deutschland verlassen musste, emigrierte in die USA. „Ein Überlebender aus Warschau“ hat er in nur zwei Wochen geschrieben, was sicherlich mit der großen emotionalen Anteilnahme mit den Opfern des Nationalsozialismus zu tun hat. In dem Werk wird ein Passionsgeschehen erzählt, dem man als Mensch unserer Zeit nicht ausweichen kann. Das ist Thomas Hennigs Hoffnung auch mit diesem Konzertprogramm.
Der in Hannover und Osnabrück Dirigieren und Musikwissenschaften studierte Künstler war unter anderen als Chordirektor am Brandenburger Theater tätig. Konzertreisen führten ihn in viele Länder. Neben Lehraufträgen an der Universität der Künste und der Eisler-MusikHochschule Berlin leitet er heute auch den Berliner Oratorienchor.
Und immer wieder entstehen eigene Kompositionen. So schrieb er 2010, ganz und gar auf das morgige Konzert gerichtet, eine musikalische Collage unter dem Titel „Exil“ für Sprecher, Tenor, Frauenchor und Orchester. Texte aus Heinrich Heines „Deutschland – ein Wintermärchen“, die der Dichter nach seinem französischen Exil schrieb, werden gesprochen, Friedrich Silchers „Ave Maria“ zitiert und Hilde Domins vor allem im Exil in der Dominikanischen Republik entstandene Gedichte vom Tenor-Solisten gesungen. Thomas Hennig sagt zu seinem Werk: „Die Komposition nimmt sich bewusst zurück und lässt Raum für musikalisch-historische Auseinandersetzungen“. Klaus Büstrin
Konzert der Singakademie Potsdam mit Chormusik von Brahms, Schönberg und Hennig am morgigen Samstag um 19. 30 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm Staab-Straße 10/11 Karten unter Tel. (0331) 28 888 28
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