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Kultur: Flusslauscher

Klangorte am Wasser in der „Hörzeit unterm Atlas“

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Wer sein Ohr an die Erde legt, kann das Wasser fließen hören. Vielerorts im Land Brandenburg quillt es hervor, sammelt sich in Rinnsalen, in Tümpeln, Teichen und Seen, mündet in Kanäle und Flüsse, um schließlich dem Meer zuzuströmen. Die Mitglieder des Klangforum Brandenburg haben in den heimischen Wasserlandschaften Hörbilder aufgenommen, die sie jetzt in der neuen Reihe „Sound in the City - Hörzeit unterm Atlas“ im Alten Rathaus akustisch vorstellen werden. „Wir haben nichts konstruiert oder collagiert, wollten so authentisch wie möglich sein,“ erklärt der Potsdamer Musikwissenschaftler und Komponist Michael Schenk, Mitinitiator dieses ungewöhnlichen Lauschprojekts.

Für die Aufnahmen entdeckten er und seine Mitstreiter faszinierende Klang- orte, etwa an den Linumer Teichen, wo sich alljährlich vor dem Winter 60 000 Kraniche versammeln, um gemeinsam gen Süden zu ziehen. Wenn die Sonne untergeht, fliegen sie in Scharen zusammen. „Ein Höllenlärm, ein beinahe urzeitliches Gefühl“, schwärmt Michael Schenk im Nachhinein. „Fast wird man zum Vogelkundler, lernt die Stimmen der Jungtiere von denen der Alten zu unterscheiden.“

So wie Naturfilmer stundenlang mit der Kamera auf die passenden Motive warten, lauern die Tonexperten mit dem Mikrofon den interessantesten Klangbildern auf. Im Schlaubetal fangen sie ein „Konzert“ von Unkenrufen ein, das dem Spiel auf der Wasserorgel nahe kommt. Das ruhige Plätschern beim Dahingleiten eines Spreewaldkahns setzen sie in Kontrast zum Brodeln der Rathenower Schleuse oder zum Maschinengeräusch am Schiffshebewerk Niederfinow.

Die Aufnahmen vergegenwärtigen, dass Klänge immer auch ein kulturelles Phänomen sind, abhängig von der Zeit, in der sie entstehen. So mischt sich in das altertümliche Rotieren eines Wasserrades von fern das Rauschen des Autoverkehrs oder Flugzeuglärm. Für Michael Schenk war es faszinierend zu hören, wie der Klang sich wandelt, wenn das Wasser von seinem natürlichen Ursprung in industrielle Bahnen gerät. In der zerschnittenen Erde der Niederlausitz hörte er den Kohleflöz „bluten“ – aus feinen Adern tropfendes Grundwasser, das gesammelt und schließlich laut schnaufend abgepumpt wurde.

Die Klangorte und Hörbilder der Brandenburgischen Wasserlandschaft sind keineswegs nur idyllisch. Manchmal drängen sie mit ihrer ganzen Härte und Rauheit ans Ohr. Auch das will das Klangforum zeigen: Wann empfinden wir Geräusche störend und wann wohltuend, wann schmerzen sie und wann kommen wir mit ihnen zur Ruhe? Wer sich auf die „Hörzeit unterm Atlas“ einlässt, wird also auch tiefer in sich selbst hineinhorchen. Möglicherweise wird er sogar einige Potsdamer Klangorte wiedererkennen: die Nachtigallen am Griebnitzsee, den Traditionsdampfer Gustav oder die Fähre vom Kiewitt nach Hermannswerder, in deren Hintergrund leise die Combino singt. Antje Horn-Conrad

Altes Rathaus, Do 25.1., 19 Uhr, Fr 26.1., 19 und 21 Uhr, 6/4 Euro, Tel. 270 11 30

Antje Horn-Conrad

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