Kultur: Frauen mit Herz und „Eckzähnen“ Heute Lesung aus „Anna, Lily und Regine“
„Eigentlich ist jede Frau interessant, wenn man die Kraft hat, sich mit ihr zu beschäftigen“, schrieb Maxie Wander in ihr Tagebuch. Sie brachte diese Kraft auf, erhellte als sanfte und doch beharrliche Fragerin, in welchen Zwangsjacken sich Frauen in der DDR zwischen Beruf, Gattin, Mutter und Putzfrau eingepresst fühlten und wie schwer es ihnen fiel, sich selbst mit „Guten Morgen, du Schöne“ zu begrüßen.
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„Eigentlich ist jede Frau interessant, wenn man die Kraft hat, sich mit ihr zu beschäftigen“, schrieb Maxie Wander in ihr Tagebuch. Sie brachte diese Kraft auf, erhellte als sanfte und doch beharrliche Fragerin, in welchen Zwangsjacken sich Frauen in der DDR zwischen Beruf, Gattin, Mutter und Putzfrau eingepresst fühlten und wie schwer es ihnen fiel, sich selbst mit „Guten Morgen, du Schöne“ zu begrüßen. Indem Maxie Wander in fremde Gesichter schaute, kam sie ihrem eigenen näher. Zeit ihres kurzen Lebens litt die gebürtige Österreicherin unter der provinziellen Enge Kleinmachnows, in der sie immer die beneidete Fremde blieb. Sie fühlte sich mehr zu den einfachen und eigentlich derben Menschen hingezogen, weil sie Tünche, Täuschung und Lebenslüge der „Verfeinerten“ abstießen. Ihr waren Menschen mit Eckzähnen lieber.
In dem von Antje Leschonski herausgegebenen Buch „Anna, Lily und Regine“, das 30 Frauenporträts aus Brandenburg-Preußen versammelt und aus dem heute in der Landeszentrale für politische Bildung gelesen wird, ist Maxie Wander eine der weiblichen Querköpfe der Geschichte, die sich ihre Eckzähne nicht schleifen ließen. In einem dreiseitigen Porträt versucht Barbara Wiesener, die „blutvollen“ Züge dieser 1977 verstorbenen Schriftstellerin, die sich nach dem Unfalltod ihrer Tochter Kitty durch das Schreiben wieder ans Licht kämpfte, trotz aller Kürze nachzuempfinden.
Nicht in jedem der Porträts, die von immer anderen Autoren aufgeschrieben wurden, wird diese Nähe erreicht. Es ist natürlich schwieriger, eine Frau zu durchdringen, die, wie Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg, vor 600 Jahren lebte und über die man sein Wissen nur durch wenige Dokumente speisen kann. Dennoch erfährt man, dass sich die mutige, von ihrem Mann betrogene Elisabeth, heimlich als Bäuerin verkleidet nachts aus dem Schlosse stahl und den Weg ins Ungewisse, und damit zu sich selbst, wagte. Autor Peter Freybe bettet die Biografie dieser von ihrem Glauben getragenen Frau anschaulich in den damaligen Zeitgeist der Reformation ein.
Es ist für den Leser nicht ganz einfach, sich durch die fast stenografieartigen Porträts zu arbeiten, ohne dass sich die so verschiedenartigen, lebensprallen Geschichten überlagern. So ist ein häppchenweiser Genuss empfehlenswert. Denn jede einzelne Frau hat es verdient, dass man sich näher mit ihr beschäftigt. Wie mit Anna Götzens (1559 bis 1617), die seit Jahrhunderten mit zusammengefalteten Händen und großen ernsten Augen in der Stadtpfarrkirche von Lenzen von ihrer Grabplatte auf die Nachwelt schaut. Erst durch die Recherchen von Heinz Leschonski löste sich das steinerne Antlitz auf und Anna wurde als die „Brezeltante“ von Lenzen „enttarnt“. Sie etablierte einst ein kirchliches Kinderfest, auf dem jedes Schulkind drei Bretzeln und 12 Bogen Papier geschenkt bekam. Ein Fest, das drei Jahrhunderte überdauerte und der Beharrlichkeit dieser Frau zu verdanken war.
Ob Kurfürstin, Hebamme, tollkühne Pilotin, sorbische Fabrikarbeiterin oder die „Mutter Courage des Ostens“, wie die einstige Sozialministerin Regine Hildebrandt genannt wurde, sie alle bewahrten sich ihre Eckzähne und stellten oft ihr eigenes Glück hinter das des Gemeinwohls. Es lohnt die Kraft, sich mit ihnen zu beschäftigen, auch wenn es in diesem Buch nur ein sanfter Händedruck und weniger eine vertraute Umarmung ist. Aber auch eine kurze Begegnung kann Steine zum Sprechen bringen. Heidi Jäger
Heute um 18 Uhr, Landeszentrale für politische Bildung, Gäste: die Herausgeberin Antje Leschonski sowie die Autoren Barbara Wiesener, Angelika Obert und Frank Hohn. Das Buch erschien im „verlag berlin-brandenburg“ und kostet 14,90 Euro.
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