Kultur: Frei gewählte Unsicherheiten Hanna Lemke erhält
den Kunstpreis Literatur
Stand:
Mit dem Kunstpreis 2010 der Land Brandenburg Lotto GmbH wird morgen neben drei weiteren Künstlern die in Berlin lebende Autorin Hanna Lemke ausgezeichnet. In ihrem Erzählband „Gesichertes“ schreibt sie über die Unsicherheit: über junge Frauen und Männer, die wie Nomaden durch die Clubs und Kneipen ebenso wie durch ihre Wohngemeinschaften und Jobs ziehen.
Ist das Leben der heutigen Jugend wirklich so rast- und trostlos?
Nein, das glaube ich nicht. Ich sehe die Figuren jedenfalls nicht als Stellvertreter der heutigen Jugend oder meiner Generation. Ich hatte solche Begriffe oder Vorstellungen beim Schreiben auch gar nicht im Kopf. Ich wollte nur immer wieder dieser speziellen Haltung der Figuren nachgehen, die oft nur danebenstehen, zuschauen, nicht teilnehmen, sich nicht entscheiden wollen.
Ihren Figuren ist das Miteinander abhanden gekommen. Am liebsten würde man sie rütteln und ihnen zurufen: Lebt, liebt, lacht. Worin sehen Sie die Ursachen für diese gefrorene Zeit, in der die Melancholie durch alle Poren dringt.
Die Figuren beobachten sich selbst und die anderen ganz genau. Oft sind sie in einer Art Wahrnehmungsschleife gefangen, in der sie eben nicht mehr bloß leben, lieben, lachen – sondern sich immer auch selbst dabei zuschauen, wie sie das tun. So entsteht der Abstand, den sie nicht nur zu den anderen, sondern auch zu sich selbst haben.
Die Generation Praktikum jettet von Amerika nach Afrika, um sich jobtauglich zu machen. Sind diese scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der Nährboden für fehlende Motivation und Ausdauer?
Das müsste man mal einen Soziologen fragen, ich bin mir da unsicher. Was meine Figuren angeht, sehe ich es so: Fast alle könnten einen festen Job, einen festen Wohnsitz, eine feste Beziehung haben. Ich glaube aber, dass sie das gar nicht wollen. Die Unsicherheiten in ihrem Leben sind oftmals frei gewählt.
Auch in ihren kurzen, prägnant zugespitzten Erzählungen laufen die Enden nicht zusammen. Offensichtlich wollen Sie dem Leser ebenfalls nichts „Gesichertes“ an die Hand geben, zumal das Woher Ihrer Helden im Dunkeln bleibt und Familie kaum eine Rolle spielt.
Ja, es hat mich gereizt, bei dieser kurzen Form der Stories so viel offen zu lassen, wie es nur geht. Grundsätzlich versuche ich auch, so wenig wie möglich zu benennen, zu kommentieren oder zu erklären – ich mag es, wenn man sich als Leser seinen eigenen Reim auf eine Geschichte machen kann.
Sie studierten am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und sind heute freiberuflich. Wie frei fühlen Sie sich?
Sehr frei!
Wie wichtig ist so ein Preis?
Für mich ist er wichtig als Anerkennung und Bestätigung der eigenen Arbeit, und über das Preisgeld freue ich mich natürlich auch.
Das Gespräch führte Heidi Jäger.
Die Preisverleihung an Hanna Lemke und Nadja Küchenmeister (Literatur) sowie an Kai Wiedenhöfer und Sabine Springer (Fotografie) findet morgen um 19 Uhr im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte statt. Ausgewählte Gewinnerarbeiten werden präsentiert. Für jede Kunstsparte wurde insgesamt ein Preisgeld in Höhe von 10 000 Euro ausgelobt.
Hanna Lemke, geboren 1981 in Wuppertal, studierte 2002 bis 2006 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig,
„Gesichertes“ ist ihr erstes Buch. Sie lebt in Berlin.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: