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Kultur: Frodo in der Zahlenwüste

Was interessiert die Menschen an Elben und Hobbits? Medienwissenschaftler der HFF untersuchten die Motive: „Die Herr der Ringe-Trilogie. Attraktion und Faszination eines populärkulturellen Phänomens“

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Sechs Jahre ist es her, seitdem Elijah Wood als Tolkins Held Frodo sich mit sorgenzerfurchter Stirn seinem Schicksal als Ringträger stellte. Wir erinnern uns: Im Dezember 2001 stiefelte er los, ein Jahr später rüsteten Gut und Böse zum Krieg, Weihnachten 2003 schließlich kam es mit „Die Rückkehr des Königs“ zum Finale, in dem das Gute endlich gewinnen durfte.

Peter Jacksons „Herr der Ringe"-Trilogie war ein Blockbuster neuen Ausmaßes. Kritiker, Teenies, Normalverbraucher – alle wollten mitreden. Allein in der ersten Woche sahen sich in Deutschland drei Millionen Zuschauer den ersten Teil an. Weltweit brachten alle drei Teile zusammen unglaubliche 2,9 Milliarden Dollar ein. Keine Mega-Stars, ein als „unfilmbar“ geltendes Thema – Warum wurde gerade der „Herr der Ringe“ zu einem der größten Erfolge Hollywoods überhaupt? Was interessiert die Menschen an Elben, Orcs und Hobbits, an körperlosen Bösewichten? Eine Gruppe von Medienwissenschaftlern der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ hat dieses Phänomen untersucht und seine Resultate jetzt veröffentlicht.

Eines vorweg: Eine leichte Lektüre ist es nicht. „Die Herr der Ringe-Trilogie. Attraktion und Faszination eines populärkulturellen Phänomens“ von den HFF-Mitarbeitern Lothar Mikos, Susanne Eichner sowie Elisabeth Prommer und Michael Wedel von der Universität Amsterdam ist ein wissenschaftliches Buch. So liest es sich auch. Schulmeisterlich durchstrukturiert, bis zum Rand gefüttert mit Statistiken, angereichert mit einem Anhang aus Tabellen und satten 18 Seiten Bibliographie.

Geschrieben ist das Ganze – sicher auch aufgrund der gemeinschaftlichen Autorenschaft – in bestem, oder besser: schlimmstem Akademiker-Deutsch. Klinisch objektiv, zitatversessen, unpersönlich, humor- und charakterlos, kurz: staubtrocken. Ein bisschen mehr Biss sollte bei dem Thema eigentlich zu holen sein. Dazu kommt: Wer nicht einigermaßen fließend Englisch spricht, hat hier wenig Freude. Es wird viel, und lang, auf Englisch zitiert.

Wer sich dennoch durch die knapp 300 Seiten des Buches arbeitet, erfährt viel Neues, auch Erstaunliches – einerseits über Hollywood und die Strickmuster von Blockbustern, andererseits über Produktionsdetails der Trilogie, von technischen Effekten bis hin zur Rezeption beim Publikum und in den Medien. Spannend ist das da, wo die Machart Hollywoods anhand des Films bloßgelegt wird. Wie alle Kassenschlager, so das Autorenteam des Buches, ist der „Herr der Ringe“ eigentlich ein aufgepepptes Märchen. Es basiert auf einer literarischen Vorlage, bietet extravagantes Sounddesign und dynamische Kameraeinstellungen und erzählt die Geschichte eines archetypischen westlichen Helden auf Umwegen zur Selbsterkenntnis. Strukturell folgt das dem Muster, das der alte Aristoteles schon beschrieb: Gleichgewicht – Störung – Erkennung des Problems – Kampf – neues Gleichgewicht. In Blockbustern heißt das: Happy End.

Auch kommerziell lief in der Trilogie alles nach Blockbuster-Plan: globale Vermarktung mit einem überdurchschnittlichen Budget von 145 Millionen Dollar (etwa die Hälfte der gesamten Produktionskosten), publikumsförderliche Mehrteiligkeit, weltweit parallel stattfindende Premieren und „eklektisches Genre-Sampling“. Was soviel heißt wie: Peter Jackson geht auf Publikumsfang in allen nur erdenklichen Genren, indem er verschiedenste Ansprüche gleichzeitig deckt. So ist „Lord of the Ring“ Liebes- und Kriegsfilm, Melo- und Historiendrama, Horror- und Splatterfilm, Roadmovie und Western in einem. Dafür muss die Romanvorlage von J.R.R. Tolkien auch mal zurückstecken. So wird etwa die Liebe von Aragorn und Eowyn einfach in den zweiten Teil hineingestrickt – der Romantik wegen.

Bei aller Faszination für derlei Details ist das Buch in seinem eigentlich interessantesten Teil eher schwach. Die Frage, was das weltweite Publikum an dieser Geschichte fasziniert, wird nur im Streifzug beantwortet. Hinweise findet man, wo internationale Fans nach ihren Lieblingsfiguren befragt wurden. Überraschend ist nicht etwa Frodo der Star, sondern fast überall in Europa Aragorn, der starke archetypisch männliche Held. In den USA dagegen ist es Sam, Sinnbild für bedingungslose Loyalität und Freundschaft.

Auch aufschlussreich: Während Europäer den Film als Kriegsgeschichte klassifizieren, sieht die Kriegsnation USA darin vor allem eine „spirituelle Reise“. Gedeutet werden diese Diskrepanzen nicht. Strenggenommen gehört das vielleicht nicht zur Medienwissenschaft. In einem Buch, das es sich zum Ziel macht, populärkulturelle Phänomene „möglichst umfassend“ zu erklären, hätte man jedoch mehr Zeitbezug erwartet – zur Not auch auf Kosten der einen oder anderen Tabelle. So aber versandet der interessante Ansatz des Buches, dem Erfolg um Frodo nachzuspüren. In einer Wüste aus Zahlen.

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