Kultur: Fundstück
Friederike Sehmsdorf hat ihr Kunstkontor eröffnet: mit einem „Preußischen Frühling“ von Nicolaus
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Sie hält das Bild wie einen guten alten Freund an der Hand: Dieses Fundstück vom Müllcontainer war ihr 20 Jahre lang ein unbemerkter, heimlicher Wegweiser. Erst als Friederike Sehmsdorf vor gut einem Jahr an den Potsdamer Jungfernsee zog, erinnerte sie sich an das Motiv, das der Maler Friedrich Kießling 1871 romantisch in Öl festhielt und das sie vor der Vernichtung bewahrte. Heute glaubt die Kunsthistorikerin, dass das inzwischen restaurierte Bild „Havelpartie bei Potsdam“ so etwas wie Vorherbestimmung für sie war. „Jeder Mensch bewahrt in seinem innersten Wesen eine oder auch mehrere ihm inniglich zugehörige Seelenlandschaften. Diese trägt er, wie Hälften von geteilten Münzen, mit sich. Erkennt er dann, an einem Ort verweilend, in diesem eine passende Hälfte, findet sich Heimat,“ schrieb der Maler Nicolaus in dem Flyer zu seiner Ausstellung, mit der Friederike Sehmsdorf jetzt ihre Galerie „Kunstkontor“ eröffnete. Sehmsdorf fand in der Bertinistraße genau diesen fesselnden Blick auf den Jungfernsee: ihre zweite Münzhälfte.
Wer sich auf den Weg zu ihr macht, bewundert dennoch den Mut der Kunstunternehmerin. Wie viele werden sich wohl in diese abgelegene Ecke verlaufen? Friederike Sehmsdorf ist es darum nicht bange. Selbst in der „Schlafstadt Falkensee“, wo sie zuvor ihre Kunstkontor-Galerie hatte, kamen gezielt Besucher aus Berlin, um ihre Ausstellungen zu besuchen. Bei Namen wie Bernhard Heisig, Clemens Gröszer, Strawalde, Antoinette oder Nicolaus – Maler, die sie als Partner um sich scharte - nicht verwunderlich. Kontakte, die zum Teil noch aus ihrer Tätigkeit am Märkischen Museum und später für die Villa Grisebach in Berlin herrühren. „Als mein drittes Kind zur Welt kam und es mit dem 14-Stunden-Arbeitstag nicht mehr funktionierte, begab ich mich auf freie Wildbahn, war fortan für alle meine Fehler selbst verantwortlich.“
Die Fehler scheinen sich in Grenzen gehalten zu haben, schaut man auf ihr mit viel Augenmaß entstandenes Refugium, das den Charme Italiens versprüht. Zu dessen Eröffnung drängten sich die Kunstliebhaber vor den Bildern von Nicolaus, um dessen witzig-hintergründige, liebevolle Hommage an Potsdam genauso zu bestaunen wie die wieder hergestellten Räume des einstigen Gärtnerhauses und der Remise, die früher zur Villa Jakob gehörten.
Auch diese fand inzwischen Liebhaber, wie auch die benachbarte Villa Gutmann, die die Schauspielerin Nadja Uhl mit ihrem Mann Kay Bockhold restaurieren. Und so schält sich ganz allmählich das mondäne Antlitz dieser einstigen Glanzstraße des Bürgertums wieder heraus. Für Nicolaus genau das richtige Futter, denn für ihn sind Stadtlandschaften mit ihren Veränderungen ein Metier zum Schwelgen. Er tut dies mit akribischer Genauigkeit und zugleich mit Augenzwinkern. Unter seinen dramatischen Himmeln ereignen sich ganze Schauspiele. Sein „Preußischer Frühling“ führt zu den Roten Kasernen nach Nedlitz, die er mit feinem Pinsel realitätsgetreu festhielt. Doch davor steht ein junges Mädchen mit Blumen im Haar und und selbstbewusstem Blick. Seht her: Hier gibt es Neues. Fort mit den Kriegsspielen hinter hohen Mauern. Nur eine kleine schwarze Kanone in der Bildmitte erinnert noch an die Zeit der preußischen und sowjetischen Garnisonen. Heute sitzt Amor auf der Lafette und ein zusammengesunkener Soldat auf dem Kanonenrohr.
Fröhlich pointiert geht es bei der „Kostümprobe“ auf dem Alten Markt zu: Eine Harlekinade mit schrägen Kulissen. Der Grundriss des Stadtschlosses liegt als Teppich ausgebreitet und darauf türmen sich Stühle. Eine kippelige Angelegenheit. Der Hund sitzt indes brav davor und wartet auf sein Schlossherrchen. Die „Speicherstadt“ erinnert wiederum an Aki Kaurismäkis Film „Der Mann ohne Vergangenheit“, entrückt, hinter einem melancholischen Schleier.
Nicolaus, der Berliner, kam offensichtlich gern dem Auftrag der Galeristin nach, „eine schöne Kollektion Potsdam-Bilder“ für die Eröffnung von Kunstkontor zu malen. „Schon als Kind streifte er oft in Potsdam umher und kehrte mit staubigen, brennenden Füßen, aber glücklichem Herzen wieder nach Hause zurück“, so Friederike Sehmsdorf. Den kindlich-fantasievollen Blick hat sich der Maler bewahrt. Auf seinen ungewöhnlichen Durchblicken jenseits ausgetretener Touristenpfade verstecken sich im dichten Grün Falter und Stieglitze, geben sich vor totem Gemäuer mythologische Wesen lustvoll und quicklebendig die Ehre. Und zu alledem gesellt sich ein Licht, das die Spannung hebt, Verwunschenes heraufbeschwört.
Wie in der „Bertinistraße 1“. Auf diesem Bild ist kein Jungfernsee auszumachen. Stattdessen eine hohe Mauer und ein riesiger Schornstein. Hinter rot-weißem Flatterband harrt ein schmuckloses Haus seiner Erlösung. Doch das Morgenrot schürt Hoffnung. Wie der Zentaur, der mit verschränkten Armen mitten auf dem Rasen steht, als warte er schon lange sehnlichst auf Gefährten. Sie werden kommen: nach und nach. Denn Fantasie verleiht Flügel. Und Heimat findet sich, wenn die richtige Münzhälfte auftaucht.
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