Kultur: Für den einen schmerzhaft, für den anderen ein Glücksfall
Das Jahrbuch der Archäologie 2005 wurde gestern in Potsdam vorgestellt
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Bedeutet die Abbaggerung von Diepensee zugunsten des Großflughafens Berlin-Schönenfeld einen schmerzlichen Einschnitt in das Leben der Bewohner, so stellt sie für die Archäologen eine Fundgrube dar. Sie erhielten dadurch Gelegenheit, den alten Dorfkern auszugraben und zu untersuchen. Dabei wurden nicht nur 6000 Befundungen auf 14,5 Hektar Fläche gemacht, sondern auch die Reste einer bisher unbekannten mittelalterlichen Kirche und eines Friedhofs mit 418 Bestattungen ausgegraben.
Die archäolgische Betreuung des Großprojekts wird fortgesetzt und verspricht weitere aufschlussreiche Funde, erklärten der brandenburgische Landesarchäologe Prof. Franz Schopper und der Direktor des Landesdenkmalamtes Berlin, Prof. Wilfried Menghin, gestern in Potsdam bei der Vorstellung des Jahrbuchs „Archäologie in Berlin und Brandenburg 2005“. Es ist bereits der 12. Band dieser Reihe, in dem die neuesten Forschungen, Grabungen und Funde der Vor- und Frühgeschichtler vorgestellt werden.
Die Tätigkeit der Archäologen wird heute weitgehend von sogenannten Rettungsgrabungen bestimmt. Immer, wenn im Niederlausitzer Braunkohlegebiet ein neuer Tagebau aufgeschlossen wird, wenn ein weiteres Stück Autobahn entsteht, oder aber auch, wenn ein Häuslebauer in der Altstadt baut, sind sie zur Stelle. Sie bergen wichtige Funde, dokumentieren und sichern die Bodendenkmale, ehe die vom Neubaugeschehen wieder überdeckt werden.
Auf diese Weise dringen sie immer tiefer in die Geschichte ein und gewinnen beginnend bei den alt- und mittelsteinzeitlichen Jägern und Sammlern wichtige Erkenntnisse über die Lebenweise unserer Vorfahren.
Daneben gibt es von Bauvorhaben unabhängige gezielte Forschungsgrabungen. So sind die Archäologen in einem in dem Jahresband vorgestellten Projekt in der Prignitz dem slawischen Stamm der Linonen, ihrem Siedlungsgefüge, Burgenbau und ihrer Herrschaftsbildung auf der Spur.
Übrigens beschränken sich die Archäologen heute nicht mehr auf die Vor- und Frühgeschichte und das Mittelalter. Immer wichtiger werden die im Boden erhaltenen Sachzeugen späterer Epochen. Dazu zählen die in Brandenburg besonders zahlreichen Schlachtfelder aus der Endphase des Zweiten Weltkrieges. Im Jahrbuch werden die Grabungsergebnisse auf einem Gefechtsfeld bei Spremberg vorgestellt, auf dem die Rote Armee im April 1945 die SS-Panzerdivision „Frundsberg“ angriff. Zu den herausragenden Funden des Jahres 2005 zählt eine Verhüttungsstätte für Raseneisenerz in Waltersdorf (Kreis Dahme-Spreewald). Dieses „EKO“ der Frühzeit wurde etwa 300 v. Chr. angelegt und liefert den Beweis, dass die damaligen „Brandenburger“ als erste im nördlichen Mitteleuropa die Technologie des Eisenschmelzens beherrschten. Der Vorsitzende der Archäologischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg, Stefan Pratsch, wies auf die nach wie vor bedeutende Rolle ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger hin. Ihnen ist beispielweise der Fund der bisher ältesten bekannten, vor 13 000 Jahren durch Rentierjäger angefertigten Pfeilspitzen zu verdanken.
Potsdam ist in dem Band durch ein bronzezeitliches Dorf vertreten, das zwischen Holzmarkt- und Türkstraße auf dem Gelände des ehemaligen Straßenbahndepots lag. Es wurde in der jüngeren Bronzezeit aufgeben, wahrscheinlich siedelten die Bewoher in den Bereich Kleine Fischerstraße/Heiligengeistkirche um, wo sich eine befestigte Vorburg befand. Der nächste Jahresband wird, wie Prof. Schopper ankündigte, dagegen im Zeichen Potsdams stehen. Er berichtet ausführlich über die gegenwärtig laufenden Grabungen am Standort des Stadtschlosses. 2007 ist aber auch das Jahr, in dem nun endlich das Archäologische Landesmuseum eröffnet werden kann, im ehemaligen Pauli-Kloster in Brandenburg an der Havel. Erhart Hohenstein
„Archäologie in Berlin und Brandenburg 2005“, Theiß Verlag, Stuttgart ,26,50 Euro.
Erhart Hohenstein
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