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Interview mit Rolf Hosfeld: „Für mich ist Heine immer aktuell“

Rolf Hosfeld über den missverstandenen Dichter Heinrich Heine - und warum wir ihn heute lesen sollten. Buchvorstellung im Potsdam Museum

Stand:

Herr Hosfeld, warum haben Sie ausgerechnet jetzt eine Biografie über Heinrich Heine veröffentlicht?

Das ist eine gute Frage, denn ein Jubiläum gibt es nicht. Aber ich muss sagen, dass ich ungern Bücher zu Jubiläen schreibe. Ganz unabhängig davon glaube ich aber, dass es sich lohnt, einen neuen und frischen Blick auf Heinrich Heine zu werfen. Denn für mich ist Heine immer aktuell. Gleichzeitig hatte ich immer das Gefühl, dass es keine runde Darstellung seiner Person gibt, dass eine wirklich umfassende Biografie einfach fehlt. Oft ist das nur schulmäßig-biografisch, oft referierend geschrieben und dadurch auch ein bisschen langweilig. Hinzu kommt, dass das meist auch aus einer einseitigen Perspektive abgehandelt wird. Das hat mich gestört.

Was meinen Sie mit einseitiger Perspektive?

Heine ist natürlich ein ganz großer deutscher Dichter. Und es ist immer noch ein Skandal, dass er nicht so richtig im Kanon angekommen ist. Früher lag die Ursache dafür in der Tatsache begründet, dass Heine Jude war und es schon Ausgrenzungsmechanismen zu seiner Lebzeit gab. Die haben sich im späten 19. und dann vor allem im 20. Jahrhundert verstärkt. Dann gab es nach dem Zweiten Weltkrieg zwar Versuche einer gewissen Heine-Renaissance, aber auch das blieb immer recht einseitig. In der DDR wollte man Heinrich Heine mehr oder weniger vereinnahmen unter der Rubrik „Demokratisch-revolutionäres Erbe“. Und in der Bundesrepublik der Adenauer-Zeit wurde Heine abgelehnt. Das kann man so klar sagen.

Warum Heine gegenüber eine solche Skepsis selbst noch in der Adenauer-Zeit?

Es war vor allem seine politische Poesie, die den demokratisch-liberalen Kräften dieser Zeit so bitter aufstieß. Und dann gibt es noch die alte Tradition, Heine als Romantiker zu sehen, insbesondere mit Hinblick auf sein „Buch der Lieder“ und seine Gedichte. Selbst Sissi von Österreich war eine große Verehrerin von Heine. Auch Bismarck schätzte ihn. Aber was sie schätzten, das war sein volksliedhafter Ton. Aber die ganze Differenziertheit seiner Poesie und seiner Gedanken ist bisher selten thematisiert worden.

Woran lag es, dass kaum jemand diese Differenziertheit erkannt hat, dass Heine fast nur missverstanden wurde?

Das hat damit zu tun, dass Heine in die nationale Zeit hineingeboren wurde, dies aber mit einem postnationalen Blick. Erst in unserer postnationalen Zeit können wir ihn wieder verstehen. Die negativen Reaktionen auf seine Texte, auch in der Adenauer-Zeit, haben ja etwas Beleidigtes an sich nach dem Motto: Der Heine macht uns Deutsche schlecht, zieht unsere Werte in den Schmutz und hat einen ausgeprägten Mangel an Ernsthaftigkeit. Das stimmt zwar nicht, wurde aber lange so wahrgenommen. Heine passte einfach nicht in die deutsche Leitkultur.

Liegt es auch an der Leichtigkeit seiner Sprache, dass er gern unterschätzt wird?

Ja, das spielt bei der Rezeption von Heine schon eine sehr große Rolle. Denn dazu neigen Deutsche ja ohnehin gerne, dass sie Dinge, die mit Leichtigkeit ausgesprochen werden, für bedeutungslos halten. Und je komplizierte sie umschrieben werden, umso bedeutungsschwerer sind sie. 

Was ist Ihrer Meinung nach noch heute aktuell an Heine?

Ohne es überstrapazieren zu wollen, aber es gibt einen sehr guten Grund, warum man sich ausgerechnet heute intensiv mit Heine beschäftigen sollte. Denn Heine lebte in einer Zeit enormer Beschleunigungen, einer Zeit mit ungewissen Zukunftsperspektiven. In der leben wir heute auch. Eine Zeit großer Herausforderungen, großer Widersprüche und großer potenzieller Neuordnungen. Die Romantik hat seinerzeit auf diese Veränderungen pathologisch reagiert. Das ist nicht bösartig gemeint, aber sie hat hypersensibel darauf reagiert. Heine dagegen hatte einen Weg gefunden, diese Hypersensibilität mit Rationalität auf eine vernünftige Weise zu verbinden. Dadurch entsteht ein ganz interessanter Ton, sowohl in seiner Poesie als auch in seiner Gedankenwelt. Aber auch in seiner Essayistik zu Fragen der Philosophie oder auch der Literatur, in seinen Aufsätzen zu zeitgeschichtlichen Themen findet sich diese Verbindung der Hypersensibilität mit Rationalität. Die sind gerade heute so interessant zu lesen, nicht weil wir so viel über Heines Zeit erfahren, sondern weil hier deutlich wird, wie man durch genaues Hinsehen sozusagen in den Symptomen die potenziellen Gefahren und möglicherweise auch Lösungsmöglichkeiten für die Zukunft sehen kann.

Wie politisch war Heine?

Heine war natürlich sehr stark geprägt durch die Impulse des Freiheitsversprechens der Französischen Revolution. Das hat sicher auch mit seinem Judentum zu tun. Denn Heine, der in dieser Zeit in Düsseldorf aufgewachsen ist, war ja mehr oder weniger ein halber Franzose. So haben bestimmte Dinge der Französischen Revolution in den Alltag seiner Lebenswelt eingewirkt. Natürlich kann man sich zu diesen Impulsen der Französischen Revolution auf unterschiedliche Weise verhalten. Man kann sie ablehnen oder pathetisch verklären. Heine hatte nie ein pathetisches Verhältnis zur Französischen Revolution, sondern war sich dessen bewusst, dass eine Freiheitsbewegung in dem Augenblick, wo Gewalt zur Anwendung kommt, sehr schnell in ihr Gegenteil umschlagen kann. Natürlich möchte ich damit keine vorschnelle Aktualisierungen verbinden, aber die Vorstellung, durch Bürgerkriege zur Freiheit zu kommen, ist falsch. Das erleben wir gerade heute im arabischen Raum. Auch wenn das wie eine kurzschlüssige Parallelisierung klingt, aber Heine zeigt uns, dass eine pathetische Sicht auf diese Dinge dazu führt, dass man die Folgen dessen, was man tut, aus den Augen verliert.

Das bedeutet, dass Heine sich nicht festlegen wollte?

Das bedeutet, dass Heine dazu immer eine ambivalente Haltung hatte. Aber diese Haltung wurde dadurch nicht indifferent. Es ist natürlich ein Freiheitsbedürfnis, ein Freiheitswille da, aber auch ein Bewusstsein um die damit verbundenen Gefahren. Es gab da eine Art der Dialektik der Aufklärung bei ihm.

Wie stand er zu Napoleon?

Er war nicht für Napoleon. Der war für ihn eine Figur, wahrscheinlich noch mehr ein Mythos. Und es gibt von Heine auch sehr kritische Äußerungen. Napoleon verkörperte für ihn einen gewissen Impulse der Stabilisierung der revolutionären Errungenschaften. Es ist der Impuls einer Ausdifferenzierung eines nachrevolutionären Staatswesens und vor allem der Impulse des Endes der aristokratischen Welt, also der Vorrechte durch Geburt. Dafür steht ja Napoleon als Person. Seine Karriere wäre ohne die Französische Revolution gar nicht denkbar. Aber natürlich war sich Heine auch über die ambivalente Rolle Napoleons bewusst, wenn er schreibt, diese Freiheit tanze auf Blutrosen. Auch hier gibt es für ihnen keinen Grund für besinnungsloses Pathos.

Wie verhielt sich Heine gegenüber Preußen?

Das war ein ambivalentes Verhältnis. Natürlich war Heine gegen die preußischen Verhältnisse, in die er dann hineinwuchs. Das war das Preußen Friedrich Wilhelms III. und Friedrich Wilhelms IV., also die zunehmende Christianisierung des Staatsgedankens, was auch dazu geführt hat, dass die Juden wieder aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurden. Gleichzeitig aber auch eine völlige Abwendung von dem klaren, aufgeklärten Preußengedanken Friedrichs II. Dieses Preußen war wie Österreich für Heine nur eine Karikatur der Vergangenheit. Trotzdem war ihm bewusst, dass das Rheinland provinzialisiert worden wäre, wenn es nicht zu Preußen gekommen wäre. Und im Fall der antisemitischen Unruhen von 1830 in Hamburg sagt er dann plötzlich: Ich wünschte, die Preußen kämen.

Ihre Heine-Biografie trägt den Untertitel „Die Erfindung des europäischen Intellektuellen“.

Ja, ein Intellektueller ist in der Tradition von Max Weber einer, der die Kritik als Beruf betreibt. Heine sah seine Position genau so. Als Instanz der Kritik, aber nicht im Sinne des kritischen Dogmatismus, sondern als permanent bewegliche Kritik. Das ist natürlich eine andere Position als die des Dichters Goethe, der auf der Suche nach der Harmonie der Welt ist, der das Leben und die Welt als Kunstwerk sieht. Und es ist auch eine andere Position als die des pathetischen Politikers.

Mit dieser beweglichen Kritik war Heine der Erste?

Ich würde das so formulieren. Natürlich kann man immer noch sagen, es gibt diesen oder jenen. Aber in dieser umfassenden Weise, wenn man sein Lebenswerk betrachtet, war er ein Prototyp. Gerade auch in Hinblick auf das Ausdifferenzierte in seinem Vortrag und wie postmodern seine Haltung war. Denn das war ja für die Zeit etwas völlig Ungewöhnliches.

War Heine vor allem kritisch oder doch eher misstrauisch?

Heine war nicht misstrauisch. Er hatte sogar eine tiefe Abneigung gegen Menschen, die misstrauisch waren. So war der Journalist, Literatur- und Theaterkritiker Carl Ludwig Börne in seinen Augen das Misstrauen in Person. Heine war kritisch in dem Sinne, dass er um die Relativität der Dinge wusste. Heine hat das Zeitgeschehen als Dichter beobachtet. Er sieht sozusagen das Drama der vor ihm liegenden Ereignisse. Er begreift das auch als Drama und stellt es als solches dar.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Rolf Hosfeld

stellt „Heinrich Heine. Die Erfindung des europäischen Intellektuellen“ (Siedler Verlag, 24,99 Euro) am morgigen Mittwoch, 18 Uhr, im Gespräch mit Joseph A. Kruse, ehemaliger Direktor des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Instituts, im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9, vor.

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