Kultur: Gab es Aufklärung in Sanssouci?
Das Forum Neuer Markt stellte sich in einer Vortragsreihe problematischen geschichtlichen Fragen
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Das Forum Neuer Markt stellte sich in einer Vortragsreihe problematischen geschichtlichen Fragen „Stellungnahmen zur Vergangenheit sind immer auch Stellungnahmen zur Gegenwart.“ (Professor Günther Lottes) Die wissenschaftliche Vortragsreihe des Forums Neuer Markt, unter dem Titel „Potsdam in Europa“, beleuchtet wichtige und strittige Momente der Potsdamer Vergangenheit vom 18. Jahrhundert bis zur Zeit der DDR. Damit reiht sie sich unter das diesjährige Motto von „Kulturland Brandenburg“ ein: „Europa ist hier!“ Denn die Interpretation der Vergangenheit liefert das Selbstverständnis der Gegenwart. Doch Interpretationen sind stets problematisch, da es wohl unmöglich ist, eine letztgültige und alles umfassende Interpretation oder Sicht auf Vergangenes zu liefern. Umso wichtiger ist es, historiografischen Erkenntnissen kritisch gegenüberzutreten und Mythen, die sich allzu leicht bilden, zu enttarnen. Ob sich historiografische Wissenschaft jedoch überhaupt mythenfrei bewegen kann, stellte Günther Lottes, Direktor des Forschungszentrums Europäische Aufklärung, in seinem Eröffnungsvortrag zu dem Thema „Potsdam - der Januskopf der Aufklärung in Europa“ in Frage. Denn ist es nicht auch Aufgabe der Geschichtsschreibung, der Öffentlichkeit eine verlässliche Erinnerung an die Vergangenheit zu liefern? Dass solch eine verlässliche Eindeutigkeit meistens nicht möglich ist, zeigt sich exemplarisch an der Rolle, die Potsdam unter der preußischen Monarchie im 18. Jahrhundert spielte. War es nun das Zentrum aufklärerischen Fortschritts oder absolutistischer, rückwärtsgewandter Gewaltherrschaft? Fällt die Förderung von Wissenschaft, Kunst und Rechtsstaatlichkeit unter Friedrich II. (Regierungszeit: 1740-1786) und sein Interesse für die französische Aufklärung mehr ins Gewicht oder seine allen aufklärerischen Gedanken spottende Ausbeutungs- und Annexionspolitik? Nicht umsonst sprechen Historiker bereits seit dem 19. Jahrhundert von dem „Januskopf“ Preußens, seinem Doppelgesicht. In seinem Vortrag verwies Lottes auf die Janusköpfigkeit innerhalb der Potsdamer Aufklärung, also dem Doppelgesicht dessen, was bereits das eine Gesicht ausmacht. Mit dem Begriff der „höfischen Aufklärung“ fragte er provokativ, ob es gerade innerhalb des an Versailles angelehnten absolutistischen Hof-Modells unter Friedrich II., das in Frankreich zur selben Zeit unterging, Aufklärung gegeben habe. Selbstverständlich nur eine problematische Aufklärung, die zum Beispiel die deutschen Aufklärer und ihre Literatur ignorierte und allein die französischen gelten ließ. Auf diesen Vortrag folgte der Kommentar der Historikerin Hannelore Lehmann. Sie schloss sich im Großen und Ganzen der problematisierenden Sicht Günther Lottes auf das Preußen der Aufklärung an und lieferte Beispiele aus der historiografischen Arbeit zu Zeiten der DDR, die diese Problematik spiegelten. Hannelore Lehmann stellte jedoch in Frage, ob es am Hofe Friedrichs II. überhaupt Aufklärung gegeben und ob diese bleibende Spuren hinterlassen habe. In den zwei Referaten und der anschließenden Diskussion, an der sich die historisch bewanderten Zuhörer aus dem halbgefüllten Saal im Alten Rathaus beteiligten, wurde deutlich, dass es immer strittige Fragen geben wird, die nicht zu lösen sind. Genauso, wie es immer den Januskopf der preußischen Monarchie geben wird, der sich nie zu einem einzigen Gesicht vereint. Es bleibt also nur, die zwei Gesichter so genau wie möglich zu erforschen und sowohl positive als auch negative Mythen zu vereiteln. Der nächste Vortrag findet am 9. Oktober um 19 Uhr im Alten Rathaus statt: „Preußen als Militärmonarchie - ein Sonderweg in Europa?“
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