Kultur: Geballte Ladung Schiffbauergasse
Potsdam konnte 2006 so manche künstlerischen Höhepunkte feiern
Stand:
EIN NEUES THEATER
– POTSDAM FREUE DICH
Preußen zum Auftakt: „Katte“. Natürlich wäre auch Lessings Toleranzstück „Nathan der Weise“ für die Eröffnung des neuen Hauses des Hans Otto Theaters aus immer noch aktuellen politischen Gründen treffend gewesen. Aber nun wurden Potsdam gemäß ein König, eine Königin, ein Kronprinz und eine Prinzessin auserkoren, das Theater als erste in „Besitz“ zu nehmen. Intendant Uwe Eric Laufenberg hat das Stück des Berliner Autors Thorsten Becker für die Eröffnung am 22. September mit großen szenischen Wirkungen auf die Bühne gebracht. An jenem Abend ging aber vor allem eine 61jährige Zeit der Theaterprovisorien in Potsdam zu Ende.
Die Potsdamer feierten gleich an mehreren Tagen fröhlich und stimmungsvoll die Eröffnung ihres neuen Musentempels an einem wunderbaren Ort, am Tiefen See. Ohne Zweifel: Die Einweihung des Theaters wurde zum kulturellen und gesellschaftlichen Höhepunkt der Stadt. Und die Landeshauptstädter eilen seidem in die Vorstellungen, die fast immer ausverkauft sind. Natürlich ist auch eine Portion Neugierde dabei. Warum auch nicht. Schließlich will man erfahren, ob die innere Gestaltung gelang, wie gut die Akustik ist. Und in dieser Hinsicht gab es von den Zuschauern mancherlei Kritik. Doch die Theaterleitung ist dabei, sie zu verbessern. Denn natürlich ist auch den Schauspielern auch an einem guten Hören gelegen.
Von einer 98prozentigen Auslastung des Theaters in diesem Jahr sprach dieser Tage die Geschäftsführung. 105 000 Zuschauer waren im Hans Otto Theater. Gratulation. Hochachtung den Künstlern und Mitarbeitern, die an den ersten drei Eröffnungstagen fünf Premieren zur Aufführung brachten. Neben „Katte“ und „Nathan der Weise“, die Uwe Eric Laufenberg inszenierte, wurde natürlich auch Gegenwartsdramatik in den Spielplan genommen. Die Inszenierungen „Der Sicherheitsabstand“ von Frédéric Blanchette, „Julia Timoschenko“ von Adriana Altaras und Maxim Kurotschkin sowie Thomas Bernhards Stück „Am Ziel“ fanden – wie kann es anders sein – ein unterschiedliches Echo.
Uwe Eric Laufenberg hat es nicht erst seit der Eröffnung geschafft, dass das Hans Otto Theater bei den Potsdamern wieder ins Gespräch kam. Seit zweieinhalb Jahren hat er es als unermüdlicher Intendant und Regisseur vermocht, mit Inszenierungen an unterschiedlichen Orten der Stadt fantasievolles, unterhaltsames und auch intellektuelles Theater zu bieten. Laufenbergs Devise: Weniger für die Feuilletonisten der großen Zeitungen Deutschlands wird Theater gespielt, sondern in erster Linie für das Publikum, ob aus Potsdam oder anderswo.
Klaus Büstrin
ENTSCHEIDUNGSZWANG
Die übersprudelnden Spitzzüngler Skuppin und Wieprecht oder die leise tretende Pantomime des Herrn Schmetterling? T-Werk oder Schinkelhalle? Am besten erst einmal in die Ausstellung des Neurobiologen Bodo Korsig, der den hoch aufstrebenden Kunstraum des Waschhauses kraftvoll mit seinen abstrakten Bildchiffren füllt. Die geballte Ladung Kultur in der Schiffbauergasse bringt den ewig dürstenden Veranstaltungsfreak in Entscheidungszwänge - und lässt ihn spüren: Potsdam lebt. Am besten miteinander.
Nachdem die Eskapaden des liebestrunkenen Schmetterlings vom Theater Nadi versiegt und auch das radioeins-Gespann offensichtlich seine letzten Bonmots verschossen hat, locken bereits die hämmernden Beats aus dem Waschhaus. Hier trennt sich der Familienweg. Die Jugend wirft sich hinein ins nächste nächtliche Vergnügen, die „Alten“ kosten den Abend beim Rotwein auf den Planken „John Barnetts“ aus. Die selbstbewusst ins gleißende Rot getauchte Dachmuschel des Theaterhauses leuchtet sirenenhaft den Weg. Die Karten für die nächste Premiere sind zum Glück gebucht und sicher in der Tasche. Auch die Termine der fabrik, die sich nunmehr auch der Weiterbildung von Choreografen, Tänzern und Zuschauern widmet, sind gedanklich gespeichert.
Anfängliche Unkenrufe, dass sich Hoch- und Subkultur das Wasser gegenseitig abgraben könnten, scheinen vom Tiefen See längst hinweg gespült worden zu sein. Nicht nur die Veranstalter rücken dichter zusammen, auch das Publikum leidet keineswegs an Berührungsängsten. Noch ist zwar nicht zu Ende saniert und die Waschhaus-Gäste nicht getestet, ob sie dem „Neu-Alten“ die Treue halten. Doch die Adresse hat sich eingebrannt und dürfte, wenn der erste „Lack“ wieder vertraute Gebrauchsspuren zeigt, sein Image bei den tanz- und kontaktwütigen Nachtschwärmern nicht einbüßen. Vielleicht lockt es auch bislang abwegige, neue Gesichter an.
Potsdam hat sich mit dieser Kulturinsel reich beschenkt. Und Entscheidungsnöte kann es auf diesem „weiten Feld“ gar nicht genug geben. Heidi Jäger
CROSSOVER CONTRA KLASSIK
Die Mozartkugeln sind gegessen, das Jubeljahr des Salzburger Meisters endlich zu Ende. Fast kein Programm, in dem nicht Wolferls Werke gespielt worden wären. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci widmeten ihm ihre Saison unter dem verheißungsvollen Motto „Wege zu Mozart“. Dabei spürten zahlreiche Könner der „Inspiration eines Genies“ genauso nach wie sie mit „Reisezielen“ (Wien, Paris, Italien) oder einem „Hofkonzert à la Sanssouci“ bekannt machten. Derlei Offerten kamen beim Publikum an – ein voller künstlerischer und finanzieller Erfolg. Kammerakademie Potsdam und Hans Otto Theater setzten bei der Fortsetzung ihrer „Potsdamer Winteroper“ im Schlosstheater im Neuen Palais ebenfalls auf Mozart, begeisterten mit der „Cosi fan tutte“-Premiere und „Titus“-Wiederaufnahme auch Opernfreunde von weither.
Potsdams Chöre wollten dem in nichts nachstehen. Der Oratorienchor unter Leitung von Matthias Jacob führte mit Unterstützung des Neuen Kammerorchesters Potsdam in der Friedenskirche Mozarts c-Moll-Messe auf. Rührig wie immer Ud Joffe, der mit seinen Klangkörpern der „Vocalise 2006“ in der Erlöserkirche erneut zu großem Erfolg verhalf. In beiden Gotteshäusern gewann sich der Internationale Orgelsommer mit seinen zwölf Konzerten weitere Zuhörer.
Ebenfalls erfreulich, dass der „Caputher Orgelsommer“ eine Fortsetzung erfuhr, in St. Peter und Paul sowie in der Nikolaikirche die traditionellen Orgelkonzerte auf größere Resonanz stießen. Zuhauf strömte dagegen das Publikum, um „Im Garten vorgelesen“ (Urania) zu bekommen. Einige Veranstaltungen mussten sogar wiederholt werden. Literatur und Orgel – sie stehen hoch im Kurs.
Die einen mögen es bedauern, die anderen begrüßen, dass der Nikolaisaal seine Klassik-Offerten weiter zurückgeschraubt hat. Von elf Reihen widmeten sich nur vier diesem Genre, angeführt von den Sinfoniekonzerten, die wechselweise von der Kammerakademie Potsdam und dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt bestritten wurden. „Klassik am Sonntag“ und „Stunde der Musik“ gehören zweifellos zum Muss eines Musentempels. Leider nicht mehr die eigentlich unabdingbaren Klavierrecitals, von Liederabenden gar nicht erst zu reden. Dafür hat überproportional die internationale Pop- und Jazzszene zugelegt, obwohl daran an anderen Orten kein Mangel herrscht. Ein Kotau vorm Publikumsgeschmack und dem Mammon?Peter Buske
VIRTUOS UND MEIST SOLIDE
Das Jahr begann mit einem Paukenschlag - ach, es wäre so schön, einen Kunstrückblick mit dieser Feststellung beginnen zu können. Aber so einfach ist es l nicht, obwohl, das kann hier vorweggenommen werden, die Kunst im Jahr 2006 in Potsdam allerlei – und darunter viel Gutes – zu bieten hatte. Doch zunächst zu den gerade zurückliegenden Wochen, die den Kunstliebhaber von Galerie zu Verein und wieder zur Galerie trieben, die alle nichts anderes zu tun hatten, als ein Sammelsurium mit Werken ihrer Künstler an den Mann oder die Frau zu bringen. Alles ehrbar, und für einen Überblick ziemlich gut geeignet, sah man doch, dass durchaus respektable Kunst auch im kleinen Format zu bewerkstelligen ist und das Heim langfristig erfreuen kann. Traditionell begann die Galerie Sperl mit ihren „kleinen Formaten“, dann lud der Brandenburgische Verein Bildender Künstler in seine inzwischen am neuen Standort akzeptierte „Galerie M“ und zeigte, dass auch für das kleine Portemonnaie gearbeitet werden kann. Dass vor Weihnachten aber auch mehr Geld für die „Piccoli“ den Weg über den Vereinstresen findet, bewies das Kunsthaus am Ulanenweg mit einer Mischung zeitgenössischer Kunst, die zwischen Abstraktion, Postmoderne und Uni-Farbigkeit sehr erfreulich changierte. Die Galerie Ruhnke hatte mit ihrer Jahresabschlussausstellung wieder ein Zusammentreffen östlicher und westlicher Werke arrangiert.
Die Fotografie war mit der Werkschau von Frank Gaudlitz im Kunstraum in der Schiffbauergasse vertreten. Dort blicken uns die erwartungsvollen Gesichter derjenigen an, die am Ufer der Donau „auf Europa“ warten, und dank des unvoyeuristischen, aber sehr persönlichen Blicks des Potsdamer Fotografen ist es möglich, die Hoffnungen der Abgelichteten zu studieren. Erkennbar ist, dass größere Armut nicht zwangsläufig zu geringerer Anmut führt. Und mit dem Kunstraum sind wir schon bei dem einen Paukenschlag, der das Kunstleben Potsdams tief durchklang. Es begab sich im Wonnemonat Mai, dass diese neue Stätte mit einer Ausstellung der wundervoll sanft-eindringlichen Arbeiten von Hanns Schimansky eröffnet wurde. Zur Schönheit der Arbeiten gesellte sich noch die Besonderheit eines üppigen Buffets hinzu, eine inzwischen rar gewordene Aufmerksamkeit für die schwer Beladenen, die zu solchen Ereignissen eilen, um sehen, und auch, um gesehen zu werden.
Ein zweiter Paukenschlag war die vom Brandenburgischen Kunstverein Potsdam koorganisierte Schau „invisible cities“, die entgegen des Titels die Stadt ganz neu und anders erfahrbar werden ließ. Abgesehen davon, dass sich hier die Stadt selbst finanziell extrem zurückgehalten hatte, konnte man sie mit neuen Augen durchwandern. Dabei war das Lazarett in der Schopenhauerstraße als Ausstellungshalle zu erleben und auch jetzt noch bieten sich dem neugierigen Blick mit der Pyramide am Stadtkanal in der Yorckstraße reflexive Stadteinsichten. Ganz ohne Musik verließ bedauerlicherweise der nunmehr dritte Betreiber der Ticket-Galerie am Nikolaisaal, Erik Bruinenberg, diese Wirkungsstätte. Es scheint, als verstünden sich Musik und Bildende Kunst nicht immer prächtig.
Enttäuscht hat das Gründerzentrum in der Puschkinallee, von dem so gut wie nichts mehr zu sehen und zu hören ist, überrascht hat die Kunstetage in der Behlertstraße mit den mythologisch aufgeladenen Großformaten von Menno Veldhuis und bestätigt hat die zweite Grafikmesse, die von dem Ehepaar Sperl in der Schiffbauergasse durchgeführt wurde, dass sogar in der brandenburgischen Landeshauptstadt nicht nur Interesse, sondern auch Geld für Grafik vorhanden ist. Mehrmals schon verabschiedete sich die Villa Kellermann von ihren Gästen, selten aber tat sie es mit solcher Nonchalance und Kunstfertigkeit wie bei der Ausstellung mit Bildern von Strawalde, dem Künstler, der höchstselbst und munter als Jürgen Böttcher seine ebenfalls dort gezeigten Filme kommentierte. Das Alte Rathaus zeigte sich unausgewogen und weiterhin nach seiner Funktion suchend, erwähnenswert sind die Exposition mit Arbeiten ostdeutscher Fotografien sowie der Blick nach Ecuador durch das Werk von Oswaldo Guayasamín
Lore Bardens
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