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Von Heidi Jäger: Gefährliche „Tänzchen“ mit der Obrigkeit

Das Dokumentar-Theaterstück „Vom Widerstehen“ hatte am Hans Otto Theater eine begeistert aufgenommene Premiere

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Sie wollten ihre kleine graue Welt zum Schaukeln bringen. Und so putzten sie Schuhe für eine gerechte Welt, gaben kein Fit mehr ins Abwaschwasser, forderten Betriebe auf, die Produktion mit Treibgas-Deos einzustellen. Doch Carolin Lorenz und Jeanne Grabner wagten sich weiter hinaus, trommelten in der Erlöserkirche gegen die Opfer in China, prangerten den Wahlbetrug in Potsdam an. Dennoch sehen sie sich ebenso wie die anderen fünf Protagonisten auf der Bühne nicht als Widerständler. „Wir gingen nur in Widerspruch“, sagt Konrad Weiß.

Dem Mitbegründer von „Demokratie Jetzt“ gehört als erster das Wort des so bewegenden Premierenabends, der vielleicht wegen des Überdrusses an Informationen zu 20 Jahre Mauerfall nicht ausverkauft ist. Schade. Denn das vielbeklatschte Dokumentar-Theaterstück „Vom Widerstehen“ im Hans Otto Theater bringt die Zeit der DDR auf sehr authentische Weise nahe. Es erzählt von Leben mit Brüchen zwischen Angst und Aufbegehren. Regisseur Clemens Bechtel gelingt es in knapp zwei Stunden, die verschiedenen Biografien zu verschränken und die individuellen Temperamente aufleuchten zu lassen.

Wie schon in Bechtels preisgekrönten „Staats-Sicherheiten“, die ebenfalls nach einem Konzept von Lea Rosh und Renate Kreibich Fischer entstanden, sind auch jetzt ausschließlich Laien auf der Bühne. Aber sie bieten kein Laientheater. Die Akteure bleiben zumeist ganz bei sich, erzählen frontal zum Publikum oder spielen szenisch nach, wie sie ihre Zeit der langen Haare und langen Bärte mit langen rauchvernebelten Diskussionen und viel Rotwein verbrachten. Keiner wollte damals das gehasst-geliebte Land verlassen, aber endlich Raum zum freien Atmen haben.

Sie schlagen im Erinnern große Bögen. Wie der Dokumentarfilmer Konrad Weiß, der mit vier Jahren im Viehwaggon von Schlesien nach Ostdeutschland kam. Sein Vater starb auf der Flucht. „Meine Erinnerung beginnt mit dem Bild des brennenden Dresdens.“ 20 Jahre später pilgert er per Rad nach Auschwitz, findet Knochensplitter, Zähne, eine Kindermurmel. „In Auschwitz habe ich begriffen, was es heißt, Deutscher zu sein“, sagt er mit unter die Haut gehender Lakonie.

Wolfgang Templin, Kind einer verbotenen Liebe, erzählt, wie er als „Russenkind“ gehänselt wurde. „Ich verteidigte meinen Vater und damit die Sowjetunion.“ Der aufgeweckte Arbeiterjunge wurde gefördert, trat mit 18 in die Partei ein und war überzeugt, dass man sich in der elend unfertigen Baustelle DDR den Weg bahnen müsse. „Wir hatten den besseren Plan.“ Und so ließ er sich auch als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit werben, bis vier Jahre später sein Weltbild ins Wanken geriet und er sich in Friedens- und Menschenrechtsgruppen engagierte. „Ich weiß, wie leicht man in die Netze des MfS geraten konnte.“

Auch in Ulrike Poppe nagen Schuldgefühle. Als „Zuführerin“ brachte sie Kinder in Durchgangsheime. Später hörte sie von Verwahrlosungen junger Menschen und wollte es öffentlich machen. Doch das hätte das offizielle Bild der DDR angekratzt. Auch das Jugendheim Torgau wurde totgeschwiegen. Ralf Hirsch wird es dennoch nie vergessen, die Erniedrigungen, den Drill. „Ich fühle mich aber nicht als Torgau-Opfer, vielleicht weil ich die richtigen Freunde kennenlernte.“ Eben Menschen wie Wolfgang Templin, Ulrike Poppe oder Konrad Weiß. Sie spielen nun in dem konspirativ anmutenden Bühnenraum von Iris Kraft nach, was sie einst zusammenhielt oder aneinander geraten ließ. Wenn sie sich zum Beispiel uneins waren in der Bewertung von Freunden, die in den Westen gingen. Doch auch Ralf Hirsch und Wolfgang Templin mussten ihr Land verlassen. Sie wurden nach der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 verhaftet. „Wollen Sie immer noch den Helden spielen? Die Nebenzelle haben wir für Ihre Frau freigehalten und um Ihre Kinder werden wir uns kümmern“, drohten die Vernehmer den vom guten Staatsbürger zum Staatsfeind erklärten Templin. Unter diesem Druck unterschrieb auch er die Erklärung, in den Westen auszureisen.

Mit milder weicher Stimme berichtet Ulrike Poppe von ihrer Untersuchungshaft in Hohenschönhausen. Weihnachten ohne ihre Kinder. Sie war des Landesverrats beschuldigt, nachdem sie Flugblätter verteilt, Lesungen organisiert und einen freien Kinderladen eröffnet hatte, der von MfS-Leuten in Bauarbeiter-Montur zugemauert wurde. Als sie auf dem Berliner Alexanderplatz gegen die Militarisierung protestierte, wurde sie auf offener Straße verhaftet. Doch dank der Solidarität aus dem In- und Ausland kam sie nach sechs Wochen frei. „Das machte Mut. Sie haben keine Gewalt über mich gekriegt.“

Carolin Lorenz und Jeanne Grabner bringen nach dem Blick ins Berliner Oppositionsleben Potsdamer Lokalkolorit in erfrischender Leichtigkeit und poetischer Verdichtung auf die Bühne. Sie berichten von „den kleinen Tänzchen mit der Obrigkeit“, dem Fasten für den Frieden, den unermüdlichen weltverbesserischen Diskussionen im Café Heider, wo es neben den legendären Torten ständig überschwemmte Klos gab, vom Filmklub „Bratpfanne“ und der „Schmiede“. Aber auch von über 100 Verhaftungen am 7. Oktober nach einer Demo auf der Klement-Gottwald-Straße. Und wieder sitzt dem Zuschauer der Kloß im Hals.

Pfarrer Hans-Joachim Schalinski bot jungen zweifelnden Menschen unter dem Dach der Kirche Freiraum. Heute steht er auf der Bühne, weil er es wichtig findet, „der Generation nach uns, Geschichten zu erzählen, die sie ermutigen zu widerstehen, wenn es nötig wird in diesem Land. Und damit nicht so lange zu warten.“

Enttäuscht waren sie alle, als bei den ersten freien Wahlen die CDU gewann und nicht das Bürgerbündnis. Konrad Weiß wurde Abgeordneter des Bundestages . Er spürte die Versuchung der Macht und verabschiedete sich deshalb von der Politik.

In der anschließenden Diskussion betonen die Darsteller, dass sie mit jedem Anflug von Rückkehr in alte Zeiten nichts zu tun haben wollen, auch wenn Templin davor warnt, dass die Gesellschaft auseinanderzureißen droht. „Doch Rot-Rot findet nicht unseren Zuspruch“, sagt Weiß.

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