Kultur: Gegen das Vergessen und Gewöhnen
„Putin hat Geburstag“ : Ein Abend für Anna Politkowskaja am Hans Otto Theater
Stand:
7.Oktober 2007. Der russische Präsident Wladimir Putin wird 55. Zur Feier des Tages gibt er sich – und uns – ausgerechnet im Hans Otto Theater die Ehre. Bevor das Staatsoberhaupt selbst sich zeigt, sollen die Gästen im Saal ein Geburtstagsständchen proben. „Happy Birthday“. Ein gestriegelter Moderator mit Garfield-Lächeln versucht, das Publikum in die richtige Stimmung zu versetzen. Die meisten Gäste folgen seiner Aufforderung, sich von ihren Sitzen zu erheben und singen folgsam mit, zögerlich erst, dann schwungvoll. Nur eine Dame im Parkett gibt sich störrisch: „Für den steh ich nicht auf.“
Natürlich ist der, der mit strenger Miene auftritt, nicht Wladimir Putin. Sondern Andreas Herrmann, der Protagonist in Petra Luisa Meyers Stück „Putin hat Geburtstag“. „Ein Abend für Anna Politkowskaja“ heißt dessen Unterzeile und verrät damit, worum es eigentlich geht. Vor genau einem Jahr, am 7. Oktober 2006, wurde die russische Journalistin, Menschenrechtlerin und Regimekritikerin Anna Politkowskaja in ihrem Moskauer Haus erschossen.
Obwohl es Videoaufzeichnungen des Täters gibt, wurde er bislang nicht gefunden – geschweige denn die Auftraggeber. Darüber, wer sich hinter dem Mord verbirgt, wird weiter spekuliert, eine internationale Untersuchungskommission will Putin nicht gestatten. Politkowskaja ist bereits das dritte Redaktionsmitglied der „Nowaja Gaseta“, einer der wenigen unabhängigen Zeitungen Russlands, das einen gewaltsamen Tod starb. Ihre Ermordung gilt als symptomatisch für die Situation der Pressefreiheit im heutigen Russland: Kritische Stimmen sind nicht nur ungeliebt, sie sind ungeduldet. Seit Putins Machtantritt im Jahr 2000 wurden 22 Journalisten ermordet oder sind verschwunden.
„Putin hat Geburtstag“ macht den mutigen Versuch, diese und andere politische Missstände unter Putins Präsidentschaft auf die Bühne zu bringen. In der deutschen Kulturlandschaft steht dieses Projekt, abgesehen von der Lesereihe „In Memoriam Anna Politkowskaja“ im März mit seiner konkreten Kritik an den demokratischen Defiziten Russlands recht allein da. Das macht den Versuch zwar nicht zu großem Theater, dramaturgisch ist einiges reichlich unklar – Wer ist etwa der Moderator? Warum hört Putin sich das alles an? Aber man hat Aktualität gewagt. Die rare unmittelbare Nähe zwischen politischem Zeitgeschehen und Bühne und die Aufforderung, sich dem Unrecht, das in Russland derzeit geschieht, zu stellen, gibt dem Stück eine Dringlichkeit, die man selten auf der Bühne findet. „Details“, die sonst in der schnelllebigen Tagespolitik verloren gehen – etwa Schröders Formulierung, Putin sei ein „lupenreiner Demokrat“ – werden dem Publikum hier um die Ohren geschmissen. Ganz im Sinne Politkowskajas: Gegen das Vergessen von Unrecht, gegen das Gewöhnen daran.
Autorin und Regisseurin Petra-Luisa Meyer lässt vor allem originale Quellen – Texte von Anna Politkowskaja, Erlebnisberichte von Soldaten, politische Reden und andere Zeitdokumente – sprechen. Der permanente Soundteppich gibt der Inszenierung etwas populär Dokumentarfilmhaftes.
Als ungebetene Gäste treten die Stimmen derer, die unter Putins Politik leiden, an seine Geburtstagstafel und ans Mikro. Ihre Geschenke sind grausame Geschichten, Resultate seiner Macht. Ein russischer Soldat (Alexander Weichbrodt), der von Offizieren misshandelt wurde. Mutter und Großmutter (Jennifer und Carmen-Maja Antoni), die beim Geiseldrama in Beslan Kinder und Enkel verloren haben. Und, als mahnende Stimme aus dem Jenseits, Anna Politkowskaja (Rita Feldmeier), die Putin die Narben des Landes vorhält: Tschetschenien, Beslan, Moskau 2002, Litwinenko. Putin aber prostet Freund Schröder (Roland Kuchenbuch) zu und isst Torte.
In der Podiumsdiskussion danach fragt eine russische Journalistin die Russland-Experten Michail Ryklin, Dirk Sager und Norbert Schreiber, ob Europa denn auch die nächsten zwölf Jahre die Augen fest vor dem Problem Putin verschließen werde. Eine wirkliche Antwort darauf weiß keiner der drei. Immerhin: Als Putin im Stück am Ende noch ein Lied singen will, stimmt keiner mehr ein.
Nächste Vorstellung: 22. November, 19.30 Uhr, Neues Theater
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