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Der junge Maler Götz Schramm vor seinem Bild Gela und Klaus.

© Manfred Thomas

Von Heidi Jäger: Geister im Raum

Der junge Potsdamer Maler Götz Schramm verarbeitet in seinen Bildern die eigene Familiengeschichte

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„Gela und Klaus“, heißt das einzige Bild, das in der kleinen gemütlichen Stube seiner Wohngemeinschaft zu sehen ist. Es zeigt die Eltern von Götz Schramm: die Mutter im Bett liegend, den Vater wie auf dem Sprung, mit abgewandtem Blick. Beim flüchtigen Hinsehen eine durchaus harmonische Situation. Doch es erzählt mehr. Auch über den Sohn, der es gemalt hat und der gerade an seiner ehemaligen Schule, der Kleist-Abendschule Potsdam, mit einer Ausstellung gefeiert wurde.

Götz Schramms Bilder sind biografisch geprägt. Der talentierte junge Mann mit den warmen dunklen Augen erzählt, dass sein Vater in den Westen ging, als er gerade mal ein Jahr alt war. Erst zehn Jahre später fand sich die Familie in Potsdam wieder – und auch nicht. Als seine Mutter vor drei Jahren vom Balkon sprang und ihrem Leben ein Ende setzte, begann für Götz Schramm eine Zeit, sich dem Thema Verlassenheit und Tod auch künstlerisch zu nähern. Er drehte einen Film, der nur ein paar Sekunden dauert: so lange wie der Sturz der Mutter. Die Medikamente, die sie einnahm, goss er in Polyesterharz. Er möchte auch die Kleidung, die sie am Tag ihres Todessprungs trug, in einen noch größeren durchsichtigen Würfel konservieren. Wenn Götz Schramm über diese Projekte spricht, kämpft er mit den Tränen. Doch das Reden und kreative Tun gehören offensichtlich zum Verarbeiten des Traumas.

Mit seinen 27 Jahren hat Götz Schramm schon viel durchlebt und ausprobiert. Mit 15 begann er, seine Gefühle in Öl auszudrücken: Schrille-schräge Fratzen flossen ebenso auf die Leinwand wie kitschige Elfenwälder. „Vieles war nur Farbgemansche“, sagt er in seiner zurückhaltenden Art. Heute studiert er in Berlin-Weißensee an der Kunsthochschule und versucht sich seine Kindheitsträume zu erfüllen: Maler und Regisseur will er werden. „Die Klassen an unserer Hochschule stehen für alle offen, und so kann ich mich in Videoprojekten ebenso ausprobieren wie in der Malerei – ohne den Stempel des jeweiligen Professors aufgedrückt zu bekommen.“

Auch eine Schauspielkarriere hätte angesichts seiner Wurzeln nahe gelegen, schließlich fuhr er schon als kleiner Junge mit auf Tournee, wenn seine Mutter und die Großeltern, die früher am Hans Otto Theater arbeiteten, nun freiberuflich landauf, landab die Bühnen mit ihren literarisch-kabarettistischen Programmen bespielten. Er erinnert sich gern an die Zeit des Unterwegsseins und wie er selbst mit zwei Gedichten vor das Publikum trat.

Während der Zeit des Abiturs, das er am Helmholtz-Gymnasium ablegen wollte, driftete alles auseinander, erinnert er sich und schaut immer wieder aus dem Fenster mit dem herrlich freien Blick auf die Nikolaikirche. Die Schule war ihm eher ein Gräuel mit dem Auswendiglernen für die jeweils nächste Klassenarbeit. „Ich machte kaum Hausaufgaben und schwänzte viel.“ Stattdessen malte er immer leidenschaftlicher, begann Gitarre zu spielen, Rollen im Kindermusiktheater im Treffpunkt Freizeit einzustudieren und alles Spannende mit der Videokamera festzuhalten. Für die Physik-Prüfung reichte es nicht. Aus war es mit dem Abi. Er bewarb sich dennoch an der Universität der Künste Berlin mit einer schlampig zusammengestellten Mappe und fand es ganz ungeheuerlich, dass sie ihn nicht nahmen, wie er schmunzelnd sagt. Er verordnete sich eine „Aromatherapie“ – seine Band, in der er als Sänger und Bassist auftrumpfte: im Waschhaus und Lindenpark und sogar im Berliner Postbahnhof. „Es war anfangs wunderschön, auf der Bühne zu stehen, aber irgendwie hatte ich mich auch etwas verrannt.“ Götz Schramm bekam wieder Lust auf Schule und begann abends das Abitur nachzuholen und mutierte geradezu zum Streber. Sogar das Auswendiglernen machte ihm plötzlich Spaß. Mit einem Durchschnitt von 1,2 und Physik als Fast-Lieblingsfach beendete er 2009 die Kleist-Schule. Parallel dazu studierte er seit 2008 in Weißensee. Die Aufnahmeprüfung bestand er auf Anhieb.

Fünf Ausstellungen hatte Götz Schramm 2010: In einem Laden am Fernsehturm mitten in Berlin ebenso wie in der Dorfgalerie in Töplitz. Und dann an seiner Schule, die dem wissbegierigen Schüler offensichtlich in vielem die Augen öffnete, auch wenn auf seinen Bildern oft gesichtslose Menschen auftauchen.

In seiner Ausstellung in der Abendschule war vor allem ein Bild dicht umringt: der „23. April 2010“ mit einem Obdachlosen vor einem Atompilz, einer blonden Schauspielerin mit pinken Schuhen und einem Marsriegel, der alles dominiert. „Sehr plakativ“, sagt der Maler. Aber er will zuspitzen, um gehört zu werden. „Ich überlege immer, was richtig kracht und die Gesellschaft bewegen könnte.“ Beuys findet er toll, seine „soziale Plastik“. „Mir ist der heutige Kunstbetrieb viel zu angepasst und in sich geschlossen.“

Sein grelles „April“-Bild gehört in eine konzeptuelle Serie über die Bergpredigt, die er, immer wiederholend, auf Klopapier geschrieben hat. Ihn begeistern philosophische Fragen und er möchte Widersprüche freilegen, auch die in der Bergpredigt und zwischen dem christlichen Gedankengut und der Institution Kirche, die er aus dem Religionsunterricht kennt. „Viele Atheisten sind christlicher als emsige Kirchengänger“, so die Erfahrung des nachdenklichen Künstlers, den die sprachlichen Bilder in der Bibel ebenso gefangennehmen wie ihre Mystik.

Er möchte sich in der Malerei nicht festlegen auf bestimmte „Götzenbilder“. Sie dürfen mal abstrakt sein, dann wieder fast fotorealistisch. Um am besten gefällt es ihm, wenn sie sich zwischen seinen Videoarbeiten ausbreiten, so wie in der Kleist-Schule. „Es war, als würden Geister im Raum schwirren.“ Natürlich auch die seiner Familie.

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