Kultur: Genieße den Islam
Moritz Führmann und Iris Radisch diskutierten in der Villa Quandt über Michel Houellebecqs neuen Roman „Unterwerfung“
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Nein, Deutschland hat keinen Michel Houellebecq. Keinen, dessen Romane regelmäßig mit ungeahnter Verve ins Schwarze treffen bezüglich dem, was man im Feuilleton als auch universitär als Gesellschaftskritik mit den Mitteln der Kunst bezeichnet. Das wurde klar, als Moritz Führmann am Mittwochabend in der Villa Quandt aus „Unterwerfung“, dem jüngsten Houellebecq-Roman las.
Houellebecq also, der Seismograf. Houellebecq, die männliche Kassandra. Der maximus criticus der Verbrauchergesellschaft und des Neoliberalismus. Mahner des schleichenden Verfalls sozialdemokratischer Werte. Observator eines Eros, der bis in die letzte Pore seines Körpers, dessen er sich bedient, durch Konsum, Käuflichkeit und Intrige vergiftet ist. Unzeitgemäßer Bewohner einer verrufenen, abendländischen Welt, die ununterbrochen Ekel erregt, ein Gespenst, ohne Gebiss und mit frankensteinscher Frisur zu einer hässlichen Fratze verkommen, das sagen zu scheint: Egal, wie viel ich mit meinen Büchern verdiene, ich bin ganz unten, ich hasse die Gegenwart, ich verachte sie.
Lakonisch könnte man sagen, welche Zeit wäre denn die gewesen, die Houellebecq als angenommenem, nicht literarischem Bürger gefallen hätte. Und hier sind wir schon mittendrin in der Verwechslung von Autor und Kunstfigur. Welche Herausforderung der Zuordnung dabei entsteht, zeigt sich exklusiv anhand seines neuen Romans „Unterwerfung“. Es ist das Buch zur Stunde. Es trifft mitten in die Debatte um Pegida, den islamisch-fundamentalistischen Terror und die Angst vor einer schleichenden Islamisierung Europas. Der Clou in Houellebecqs Buch ist nicht, dass ein hysterisches Szenario einer wie auch immer begründeten islamophoben Angst beschrieben wird.
Nein, der Islam geziert sich hier als Lösung, eine ganz erquickliche obendrein, in der Männer wieder Männer sein dürfen. Frauen wieder Frauen. Die Frauen bedienen. Die Männer lassen sich bedienen. Es herrscht die polygame Ehe. Geld fließt aus Saudi-Arabien. Und offenbar ist es das, was am Ende wirklich alle wollten. Nicht nur die Männer. Auch die Frauen. Scheiß Emanzipation, man sieht doch, wo das hingeführt hat, in den scheiß Westen.
Wir schreiben das Jahr 2022. Um einen Sieg der Rechten unter Marie Le Pen zu verhindern, haben sich die sozialdemokratischen Kräfte Frankreichs mit der Bruderschaft der Muslime vereint, deren Kandidat Ben Abbes unerwartet als Sieger der Präsidentschaftswahl hervorgeht. Noch unerwarteter ist, dass die schließlich eintretende islamische Gleichschaltung durchaus komfortabel und soft anmutet, soll heißen, dass sich Ben Abbes als umsichtiger Landesführer erweist, der auch aggressiven Tendenzen innerhalb des Islam einen Riegel vorschiebt. Eine weitere Radikalisierung scheint auch gar nicht mehr nötig. Der Genuss an wiedergefundenen Hierarchien ist für alle Beteiligten zu groß, um sich noch gegen das Narkotikum zur Wehr setzen zu müssen. Es erscheint wie das Paradies auf Erden. Die Einlösung der heimlichen Fantasie der Geschichte.
Bis in jenem Land, das durch seine einstige Revolution samt Königssturz die Demokratisierung Europas einleitete, der islamische Reifeprozess so weit gediehen ist, macht sich allerdings die Angst vor einem Bürgerkrieg breit. Während die Sozialdemokraten um den Präsidenten Francoise Hollande und den Premierminister Manuel Valls zunehmend an Kontur verlieren, droht ernsthafte Gefahr von rechts, insbesondere von den sogenannten Identitären, die sich als selbsternannte Ureinwohner Europas der Verteidigung ihres Kontinents verschrieben haben, notfalls mit den Mitteln der Gewalt.
Betrachtet wird dieses Geschehen aus der Sicht von Francois, einem Literaturwissenschaftler, einer typischen Houellebecq-Hauptfigur, die, wie schon in seinen Romanen „Elementarteilchen“ und „Plattform“, durchschnittlich begabt ist und irgendwie im Modus des Autopiloten befindlich, kinderlos, mehr oder weniger depressiv, mit diversen pornografischen Eskapaden ausgestattet – eben ein männliches Verfallsprodukt westlicher Bauart. Francois hat natürlich mit dem Islam nichts am Hut und flieht zunächst vor den drohenden Verwerfungen, um im Katholizismus nach spiritueller Erneuerung zu suchen. Ohne Erfolg. Gleichlaufend mit dem Erstarken des Islam verliert er seine Stelle an der Universität, um am Ende in den nunmehr islamischen, saudisch-arabisch geförderten Wissensbetrieb allmählich wieder eingegliedert zu werden. Mit der epischen Pointe „Ich hätte nichts zu bereuen“ endet das Buch als quasireale Option der politischen Zukunft.
Tatsächlich gelingt dem Goncourt-Preisträger ein weiterer raffiniert wie leicht erzählter Roman – dessen Veröffentlichung ausgerechnet mit den schrecklichen Ereignissen in der Redaktion des Magazins „Charlie Hebdo“ in Paris zusammenfiel. Und nicht nur das: Im Buch wie in der tagespolitischen Aktualität verlassen Juden aus Angst vor Antisemitismus Frankreich und gehen nach Israel.
Die Spekulation über die Zukunft einschließlich auratischer Selbstverdächtigungen reicht bis in die von Sicherheitsleuten bewachte Villa Quandt, wo sich nach der Lesung die „Zeit“-Autorin Iris Radisch mit der Frage konfrontiert sieht, ob sie nach aller Begeisterung für Houellebecq und dessen Erzählkunst nicht auch ein Plädoyer für die Moderne halten könne. Worauf sie, die zweimal Gelegenheit hatte, den Autor selbst zu interviewen, antwortet, ihr gefalle die Schonungslosigkeit der Dekodierung, deshalb aber sei sie noch lange kein Sprachrohr einer „Rückabwicklung der emanzipatorischen Moderne“.
Die Parole „Genieße den Islam“, frei nach Slavoj Zizek und dessen „Genieße dein Syndrom wie dich selbst“, ist eine autosuggestive Dröhnung der Heroisierung des historisch späten Subjekts. Defätistische Gelüste und Präzision bilden ein paradoxales Paar. Dass Houellebecq eine, wie Radisch meinte, „wirkliche Spekulation“ betreibe, stimmt zumindest für die Literatur. Dass sich der Leser als politischer Akteur entdeckt, um sich im Für oder Dagegen zu üben, wäre zweifellos das Beste, was der Literatur widerfahren könnte. Doch das stimmt auch, die Zukunft sieht meistens anders aus, als es zunächst scheint. Ralph Findeisen
Ralph Findeisen
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