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Von Heidi Jäger: Geschichte eines Geduldeten
Drei Dokfilme aus „20 x Brandenburg“ sind beim Ökofilmfestival nominiert / Regisseure im Gespräch
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Sein buntes Tuch, das im Film fröhlich wie Schmetterlingsflügel im Radfahrwind weht, hat er an diesem Gesprächsabend zu Hause gelassen. Zu Hause? Das ist für Acha seit fast zwei Jahren ein grauer Betonklotz in Garzau. In dem Asylbewerberheim paukt der 30-jährige Kameruner von morgens bis in die Nacht deutsche Vokabeln. Er will Kontakte zu den Brandenburgern knüpfen und der Lähmung und Isolation als „Geduldeter“ entgehen. Und so radelt er vom Wettgrillen zur Feuerwehrfeier und macht auch beim Storchenfest Halt, wo ein Männerballett in roter Unterwäsche dem Afrikaner schier das blanke Staunen ins Gesicht treibt.
In dem Film „Gestrandet“ von Judith Keil und Antje Kruska, der am Montag zur Eröffnung der Ökofilmtour im Filmmuseum gezeigt wurde, erlebt der Zuschauer einen schlagfertigen, gewitzten jungen Mann, der selbst einen stumpfsinnigen Brandenburger mit ausländerfeindlichem Geschwafel zum Handschlag bewegt.
Am späten Montagabend ist von diesem unerschrockenen Optimismus, den Acha der Verzweiflung über die Gefahr der Abschiebung rigoros entgegensetzt, nur wenig zu spüren. Während die anderen Gesprächsteilnehmer auf dem Podium fröhlich über den brandenburgischen Menschenschlag parlieren, schaut Acha in sich gekehrt nach unten. Moderatorin Carla Kniestedt zeigt sich sichtlich begeistert über sein Auftreten im Film. „Ich bin noch immer fassungslos, wie Sie es schaffen, die Menschen durcheinanderzubringen“, sagt sie aufmunternd. „Das habe ich gar nicht bemerkt“, entgegnet Acha leise. Er hat den Film mit sich selbst in der „Hauptrolle“ jetzt das vierte Mal gesehen und auch ein paar Briefe bekommen. „Aber ich weiß nicht, welche Eindrücke die Menschen haben.“
An der Gefahr, abgeschoben zu werden, hat sich für ihn seit den Dreharbeiten nichts geändert. „Aber ein neues Jahr, neue Hoffnung“, sagt er mit seinem feinen sympathischen Lächeln. „Jeder Junge in Afrika möchte nach Europa. Wie es dort läuft, davon haben wir keine Ahnung,“ erzählt er vor den spärlich besetzten Reihen. „Ich möchte mit vollen Händen zu Mutti kommen. Diese Hoffnung lebe ich und kann sie nicht aufgeben“, sagt Acha, der die alleinstehende Mutter ebenso wie seine drei jüngeren Brüder unterstützen will. Die Filmemacherinnen , die für ihren Dokumentarfilm „Der Glanz von Berlin“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurden, wollen Acha weiter begleiten und einen längeren Film über das Schicksal der Gestrandeten drehen. „Wir sind begeistert, dass wir ihn als Protagonisten gefunden haben“, sagt Judith Keil.
Ihre Dokumentation gehört zu dem von Andreas Dresen geleiteten Projekt „20 x Brandenburg“, in dem anlässlich 20 Jahre RBB 20 Filmemacher Brandenburg nach spannenden Geschichten und Menschen durchforsteten. Drei von ihnen sind von einer fünfköpfigen Jury mit in den Wettbewerb der 47 nominierten Filme des Ökofilmfestivals gekommen. Darunter auch Dresens eigener Film „Halle 101“. Das Thema Arbeiter wurde von keinem seiner Kollegen aufgegriffen und so fuhr er eben selbst in die „Halle 101“ und schaute, wie Menschen mit tätowierten Muskelpaketen und Schweiß auf der Stirn den Sinn ihres Lebens zwischen Karossen und Getrieben gefunden haben. Unverstellt erzählen sie vom Stolz auf ihre Arbeit als Autobauer in Ludwigsfelde und vom Zusammenhalt der Kollegen. „Über Menschen, die Werte schaffen und immer auf die unterste Stufe gestellt werden, wird selten reflektiert“, sagt Dresen noch etwas angeschlagen nach einer durchfeierten Nacht. Gerade hat er die Dreharbeiten zu seinem neuen Film „Halt auf freier Strecke“ zum Thema Tod fertiggestellt.
Mit seinem Brandenburg-Projekt ist er zufrieden. „Alle Regisseure haben sich getraut, in den Alltag zu gehen und fanden dort die größten Überraschungen.“ Nur das Thema Braunkohle-Landschaft vermisste er in dem Mix und auch eine Fähre über die Oder nach Polen hätte er gern dabei gehabt. Wenigstens in Volker Koepps Streifen „Im Wind“, der sich mit dem Thema Windräder auseinandersetzt und ebenfalls für das Ökofestival nominiert ist, wird eine Polin gezeigt: „eine wunderbar herzliche weltoffene Frau“, sagt Dresen angetan. „Man spürte, dass die Leute in dem kleinen Dorf Trampe etwas mitzuteilen haben. Aber wir hatten nur vier Drehtage. Der Anfang bedeutete gleichzeitig Abschied“, so Volker Koepp. Wie er es in dem 15-Minüter dennoch schafft, die Uckermärker in ihrer stoischen Gelassenheit und ihrem Humor zu zeichnen, ist einfach meisterhaft. Während die Frauen in aller Ruhe beim Gläschen Sekt auf einer Bank das Gemüseauto erwarten, und das Knattern der Windräder als unvermeidlich hinnehmen, schlagen die Neuzuzügler eine forschere Tonart an.
Es gibt noch weitere spannende Sujets in Brandenburg, sagt Dresen, die es zu erzählen lohnt. Er lese in der Zeitung immer wieder eine Annonce von der „Schokoperle aus Treuenbrietzen“, so der Regisseur und will seine Neugierde am Thema Landbordell nicht verheimlichen.
Aber erst einmal geht er mit seinem Film über den Tod in den Schneideraum, dreht die Fortsetzung über den CDU-Politiker „Wichmann“ und inszeniert dann im Schlosstheater die Winteroper „Die Hochzeit des Figaro“. „Die Vorbereitungen sind so gut wie abgeschlossen. Bis auf zwei Rollen sind alle Partien besetzt.“ Andreas Dresen freut sich auf die Regie zu seinem zweiten Musiktheaterprojekt. „Was gibt es schöneres als mit Fahrrad zur Probe zu fahren“, so der Potsdamer.
Ob es einer der drei Brandenburg-Filme zu einem Preis beim Ökofilmfestival schafft, wird am 12. April entschieden. Jetzt gehen die Öko- und Globalisierungsfilme erst einmal auf Tour: an 70 Orte zwischen Windrädern und Asylbewerberheimen. Vielleicht bekommt Acha ja bald wieder Post, vielleicht auch eine gute Nachricht von der Behörde. Ein neues Jahr – eine neue Hoffnung.
Die Filme „20 x Brandenburg“, auf der auch studentische Arbeiten zu finden sind, gibt es im Buchhandel auf DVD.
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