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Ton für Ton eine Geschichte erzählen. Der Potsdamer Sitarspieler Sebastian Dreyer.

©  Andreas Klaer

Von Dirk Becker: Geschichten auf ein paar Saiten

Der Potsdamer Sebastian Dreyer entdeckte seine Leidenschaft in der Plattensammlung seiner Eltern / Regelmäßige Raga-Konzerte im Studio Gosha

Stand:

Die Platte, mit der alles anfing, hat Sebastian Dreyer noch. Ein schneller Griff in das Regal, schon hält er das gute Stück in seiner Hand. Das schon etwas mitgenommene Cover zeigt einen Mann mit fliehender Stirn, dunklen, nach hinten gekämmten Haaren, dessen konzentrierter Blick hinter der Brille auf seine linke Hand gerichtet ist. Er trägt traditionelle Kleidung, sitzt in einer Art Schneidersitz auf dem Boden und spielt auf einem etwas unförmigen und irgendwie überdimensioniert wirkenden Instrument. „Nikhil Banerjee - Master Of The Sitar“ steht in roter Schrift über diesem Bild.

Zwei Platten mit traditioneller Sitar-Musik sind auf dem DDR-Label Amiga erschienen. Eine mit Einspielungen vom Großmeister Ravi Shankar, die zweite unter dem Titel „Master Of The Sitar“ von Nikhil Banerjee. Und Banerjees Album, 1986 in dessen Todesjahr bei Amiga erschienen, stand im Plattenschrank von Sebastian Dreyers Eltern. Es dauerte dann aber noch elf Jahre, bis Sebastian Dreyer durch diese Platte eine Art Erweckungserlebnis erfuhr und ihn die Musik von Meister Nikhil Banerjee selbst zum leidenschaftlichen Sitarspieler werden ließ.

In Deutschland und Indien hat der 32-jährige Sebastian Dreyer das Spiel auf der Sitar, dem traditionellen Zupfinstrument, erlernt. In Berlin studierte er vergleichende Musikwissenschaften und indische Philologie. Mittlerweile zehn Jahre arbeitet er als Konzert- und Studiomusiker und hat an zahlreichen Projekten mitgewirkt. Er unterrichtet in Potsdam und Berlin. Seit Juni lädt der Potsdamer im Studio Gosha regelmäßig zu Sitarkonzerten ein. Am kommenden Samstag ist er dort wieder zusammen mit dem Tablaspieler Fabian Bakels mit dem Programm „Ragas für den Sommer“ zu erleben.

„Das hat mich regelrecht weggefegt“, sagt Sebastian Dreyer mit Blick auf die Platte von Nikhil Banerjee in seinen Händen. Seine Eltern werden das Album bestimmt schon vorher mehrmals auch in seinem Beisein gehört haben. Aber als im Musikunterricht auf dem Gymnasium die Sitar vorgestellt wurde, hörte Sebastian Dreyer zum ersten Mal richtig hin. 1997 war das. Nach dem Unterricht ging er nach Hause und nahm die Platte von Nikhil Banerjee aus dem elterlichen Plattenschrank.

Es war die Spannung, die von dieser Musik ausgeht, die Sebastian Dreyer sofort in ihren Bann zog. Und es war, als würde ihm Nikhil Banerjee auf seiner Sitar, begleitet von einem Spieler auf den Tablas, zwei traditionellen indischen Handpauken, Geschichten erzählen. Das wollte Sebastian Dreyer, der bis dahin Gitarre gespielt hatte, auch.

In Berlin fand er mit Gisela Tarwitt seine erste Lehrerin. „Sie war die einzige, die damals Sitarunterricht angeboten hat“, sagt Sebastian Dreyer. Und fügt nach einer kurzen Pause mit einem feinen Lächeln hinzu: „Ich hatte Glück, dass sie auch eine sehr gute Lehrerin war.“

Spricht Sebastian Dreyer über die Musik auf der Sitar, verliert er nicht viele Worte. Er nimmt sich Zeit für die Antworten, überlegt, bevor er etwas sagt. Und er widerspricht oft.

Da kommt das Gespräch auf den Raga, den fast alle instrumentalen Stücke auf der Sitar im Titel tragen. Und man fragt, um zu verstehen, einordnen zu können, ob dieses scheinbar frei wirkende Musizieren eine Art Improvisation sei.

„Nein“, sagt Sebastian Dreyer, der Raga sei ein musikalisches Konzept, dessen Wurzeln im Gesang zu suchen seien. Eine melodische Grundstruktur, die bei jedem Raga vorschreibt, welche Töne, welche Phrasen zu diesem Musikstück passen. Improvisation sei ein zu freier und vor allem durch den Jazz besetzter Begriff. „Raga bedeutet übersetzt Farbe. Bei dieser Musik geht es um ein musikalisches Stimmungsbild, das beim Zuhörer ausgelöst werden soll.“ Für jede Tageszeit, die für dieses musikalische Verständnis in acht Abschnitte unterteilt ist, gibt es verschiedene Ragas. So auch für die Jahreszeiten.

Daraufhin bemüht man musikalische Beispiele aus der europäischen klassischen Musik. Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zum Beispiel oder andere Kompositionen, die Tages- oder Jahreszeiten im Titel tragen um zu signalisieren, dass man versteht, was Sebastian Dreyer meint. Und wieder widerspricht er.

„Nein“, sagt Sebastian Dreyer. Ragas seien für die jeweilige Tages- und Jahreszeit geschrieben. Sie sollen die menschliche Stimmung zu diesen Zeiten widerspiegeln. „Es gibt beispielsweise einen Raga für die Zeit am Morgen, wenn die Nacht langsam verschwindet, die Sonne aber noch nicht aufgegangen ist. Und es ist etwas anderes, wenn man diesen Raga genau zu dieser Zeit spielt oder hört.“

Bedeutet das, dass sich das tiefere Verständnis, die Bedeutung und Absicht eines solchen Ragas beim Spieler und dem Zuhörer dann erst zu der bestimmten Jahres- oder Tageszeit einstellt?

„Ja“, sagt Sebastian Dreyer. Und man sitzt dort in seinem Musikzimmer und hat zum ersten Mal das Gefühl, dieser Musik, die von so vielen Klischees behaftet ist, näherzukommen, sie wirklich ernst zu nehmen. Denn zu oft hat man diesen flirrenden, obertonreichen Klang der Sitar auf die Hintergrundmusik für die umnebelten Mußestunden der Freunde bewusstseinserweiternden Drogen oder auf das Entspannungsmoment in einem Yoga-Studio reduziert. Indische Folklore, die da so schön friedlich vor sich hinplätschert.

Sebastian Dreyer wird mit diesen Klischees immer wieder konfrontiert. So hat er bei Anfragen für Konzerte regelmäßig zu hören bekommen, dass er doch mal in dem Yoga-Studio um die Ecke nachfragen solle. Das war dann nicht unbedingt böse gemeint, sondern einfach nur der allgemeinen klischeebehafteten Unwissenheit geschuldet.

Die Musik der Ragas, das sei die klassische indische Musik, sagt Sebastian Dreyer. Dort habe sie den Stellenwert wie in Europa die klassische Musik. Und entsprechend tief und intensiv ist auch das Studium dieser musikalischen Kunst. Sebastian Dreyer nimmt heute noch regelmäßig Unterricht und reist dafür auch ins indische Kalkutta. Dort lebt sein Lehrer Partha Chatterjee. „Und hier schließt sich auch der Kreis“, sagt Sebastian Dreyer und weist auf die Platte von Nikhil Banerjee. „Partha Chatterjee war einmal Schüler von Nikhil Banerjee.“ Und bei Chatterjee sei nun etwas erhalten geblieben von der musikalischen Kunst Nikhil Banerjees, auf der Sitar Geschichten zu erzählen. Denn das mache einen guten Sitarspieler aus, so Sebastian Dreyer. Einen Raga so zu spielen, dass er packend und faszinierend, voller Farben, Eindrücke und Gefühle, atemberaubend und verzückend wie eine gute Geschichte ist.

„Ragas für den Sommer“ mit Sebastian Dreyer (Sitar) und Fabian Bakels (Tabla) am Samstag, 31. Juli, um 20 Uhr im Studio Gosha, Dortustraße 55. Der Eintritt kostet 7 Euro. Weitere Informationen unter www.sebastian-dreyer.de

Dirk Becker

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