zum Hauptinhalt

Kultur: Gesicht zeigen

Die fabrik eröffnet morgen die 17. Potsdamer Tanztage: Kleine und große Fische werden an Land gezogen

Stand:

„Gut, dass es jetzt los geht. Ich will endlich Gesichter sehen,“ sagt Sven Till, während er auf seinem Laptop die morgen beginnenden Tanztage noch einmal visuell herauf beschwört. Die Videosequenzen ersetzen natürlich nicht das Reale, die Menschen, lassen aber durchaus erahnen, welche Riesenwelle Energie auf das Tanzhaus am Tiefen See herüberschwappen wird. Und so wie der künstlerische Leiter der fabrik endlich nach der anstrengenden Planungsphase auf Papier und Video wahre Gesichter um sich scharen möchte, thematisiert auch die Eröffnungsperformance des Franzosen Serge Ricci, wie wichtig es ist, Gesicht zu zeigen.

Am Anfang verstecken sich in dem Stück „Au Nombre des Choses“ (Die Anzahl der Dinge) die Tänzer noch in schwarzen Ganzkörperkostümen. Nur die hellen Gliedmaßen bewegen sich wie losgelöst im Raum. Allmählich lassen die Tänzer Hülle um Hülle fallen, bringen ihre ganze Persönlichkeit ins Spiel. „Es scheint, als kehrten sie nackt wie Adam und Eva ins Paradies zurück. Dieses langsame Füllen des Raumes mit Dynamik ist auf einen wunderschönen Gitarrenteppich gebettet, fast wie ein Traumlied“, sagt Sven Till. Und er ist auch begeistert, dass sich diese mit Humor und Farbenzauber auftrumpfende Choreografie so viel Zeit lässt. „Zeit, die Sinne zu öffnen in der Schutzzone Theater.“

Und Zeit nehmen sich auch die Hip-Hop-Tänzer von Accrorap, obwohl sie immer wieder mit Riesengeschwindigkeit über den Boden gleiten, auf Schultern und Knien durch den Raum wirbeln. Doch sie halten auch inne, treten aus der neunköpfigen Männergruppe heraus, um ihre ganz persönlichen Geschichten zu erzählen. Geschichten vom Warten, zu der jeder Immigrant verdammt ist. „Douar!“ erzählt von den Vororten Frankreichs, da wo es auch den aus Algerien stammenden jungen Choreografen Kadre Attou hinverschlug. „Er erzählt mit seinen Tänzern vom Hip Hop als Überlebensstrategie, von der Sehnsucht, das Glück zu finden und von den Dingen, die man am neuen Ort vermisst“, sagt Sven Till.

Schon die Bilder auf der kleinen Laptop-Platte versprechen neben der technischen Brillanz ein feines Gespür für Poesie und Konfrontation.

Auch Merlin Nyakam verließ sein Land, um in Frankreich sein tänzerisches Glück zu versuchen. Dennoch hält er seiner Heimat die Treue, holt sich jedes Jahr von dort neue Impulse und gibt sie zugleich an die Kinder und Jugendlichen Kameruns zurück. „Es ist fast banal, wie wir zueinander fanden“, sagt Sven Till. Er googelte, weil er für das Potsdamer Afrikafest im Juli eine Tanzgruppe suchte, und blieb bei Merlin hängen. Schließlich lernte er ihn in Paris persönlich kennen. „Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick.“ Wie bei Ricci scheinen sich auch bei „Récréation Primitive“ (Einfache Erholung) die Gliedmaßen vom Körper wegzubewegen, löst sich der Kopf vom Rumpf, tanzen die Beine ihren eigenen Weg. Neben dieses skurrile Auseinanderdriften gibt es die Tänzer aber auch mit der Kraft ihrer ganzen, unzerstückelten Körper, die sie fast geisterhaft über die Bühne routieren lassen. „Es ist ein Stück, das den Wiederbeginn nach der Katastrophe erzählt und dabei den traditionellen Tanz mit kleinen Ballettsprüngen pointiert und schließlich mit westlich-zeitgenössischem Tanz zusammenbringt.“ Diese Deutschlandpremiere verspricht eine „wahre Verzauberung“, wie ein französischer Kritiker schrieb.

Auf Verzauberung setzt auch der Kinder-und Jugendtanztag „Kleine Fische & Große Fische“ am 20. Mai, der bereits zum dritten Mal ins Festival eingebettet ist. „Zu dieser Gelegenheit lädt der Tanz seine Freunde ein: das Trapez, den Clown, die Musik. Selbst die Riesenseifenblasen haben sich angekündigt“, verspricht das Programmheft. „Nichts Kindertümliches, aber viel Magie“, versichert Organisator Ludovic Fourest. Der polnische Theaterkünstler PETER Pan bringt Seifenblasen zum Fliegen und Lichter zum Tanzen: „Er erzählt das einfachste Theater der Welt“. Zappel- und Trampellieder gibt es mit Robert Metcalf, und eine fröhlich-tolpatschige Verführung verspricht Noelle Dalsace bei „Cheri!!“ Vor allem aber gibt es den ganzen Tag die Künstler auch zum Anfassen. Gesichter – so wie sie Sven Till endlich herbei sehnt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })