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Kultur: Gespiegelte Irritation

Martina Thalhofers Foto-Objekte im Waschhaus sorgen für Distanz und Neugier

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Martina Thalhofers Foto-Objekte im Waschhaus sorgen für Distanz und Neugier Martina Thalhofer spielt mit der Aura des nackten Körpers, ohne jede Gier nach Voyeurismus. Ihr feinsinniges Gespür für die Wirkung der Formen setzt auf das Geheimnisvolle, die Verfremdung. Wie hinter einem Schleier zeichnen sich die weich gezeichneten Silhouetten ab. Die überlebensgroßen Körperteile erzählen in ihrer entrückten Welt ganz eigene Geschichten: So greift eine Hand in die zarte Wölbung der Taille und durch das gespiegelte Pendant möchte man meinen, ein Bühnenvorhang öffnet sich. Und tatsächlich fühlt man sich in der heute beginnenden Ausstellung im Waschhaus wie in einer Theatervorstellung. Die frei atmenden Bilder wispern sich leise zu, treten in einen spannungsreichen Dialog. Kein Wort zu viel, keine überflüssige Geste. Von Bild zu Bild ergeben sich neue Assoziationen, wird die Neugierde auf den nächsten Akt geweckt. Die Wirkung liegt in der genau kalkulierten Bemessung. Den Reiz der Fotografie entdeckte die 1964 in Augsburg geborene Künstlerin durch ein Fundstück. Auf einem Trödelmarkt stöberte sie ein Fotoalbum auf, das den Lebensweg einer Frau vom Kleinkind bis ins hohe Alter festhielt. Sie wollte diese Erinnerungen konservieren und goss die Fotos in Wachs. Irgendwann entdeckte sie selbst die Faszination der Fotografie, und stellte den historischen Aufnahmen der Verstorbenen die Fotografien von Menschen aus ihrem Umfeld gegenüber. „Obwohl ich die Personen aus ihrer Zeit heraus hob, kein Hintergrund, keine Accessoires sie näher einordnete, merkte man, dass sich die menschliche Physiognomie im Laufe der Jahrzehnte verändert hat“, erzählt Martina Thalhofer, die sich inzwischen ganz auf die eigene Fotografie konzentriert und die Wachs-Technik meisterlich beherrscht. Ihre Fotografien wirken mitunter wie Gemälde, auf denen Details verschwimmen und eine verdichtete Atmosphäre gefangen nimmt. Selbst das Geschlecht des Körpers ist nicht genau auszumachen. Die warmen melancholischen Augenpaare, die aus dem Gesicht herausgelöst das Bild einnehmen, möchte man sehr schnell einer Frau zuordnen. Falsch, auch hier ist die Irritation gelungen. Ebenso wie ein Hinterkopf, der sich als hochgestrecktes Kinn entpuppt. Die seit ihrem BWL-Studium in Berlin lebende Künstlerin hat inzwischen in Ausstellungen ihren festen Platz. In der Galerie Zeisler Berlin stellte sie sich im vergangenen Jahr erstmals in einer geschlossenen Schau mit ihrem Thema „paradise lost“ vor, das sich auf ein Epos von John Milton, einem Zeitgenossen Shakespeares, bezieht. Milton beschrieb darin die Spiegelung Evas im Wasser, den Moment, als sie sich das erste Mal ihrer selbst bewusst wird und sich an ihrem Antlitz erfreut. Anders als Narziss, der an seinem eigenen Spiegelbild zugrunde geht, schöpft Eva daraus Kraft, auch in ihrem Selbstwertgefühl gegenüber Adam. „Eine alte symbolhafte Geschichte von durchaus aktueller Bedeutung. Sie erzählt, wie man über die Erkenntnis seiner Selbst zu Bewusstsein gelangt“, so Anke Zeisler, die sich inzwischen auch für eine Ausstellung in Luckenwalde und jetzt im Waschhaus (Eröffnung heute um 20 Uhr) einsetzte. Selbst der Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages signalisierte Interesse an Thalhofers Arbeiten und lud sie zur nächsten Einkaufssitzung ein, wie die Galeristin erfreut berichtete. Auch in Potsdam können die Arbeiten natürlich erworben werden, allerdings muss man dazu ziemlich tief ins Portemonnaie greifen: die Fotoobjekte kosten zwischen 1600 und 6300 Euro, was vor allem der aufwändigen Technik geschuldet sei, so Anke Zeisler. Martina Thalhofer inszeniert Körperhaltungen, lässt sie zu skulpturalen Objekten gerinnen. Das schafft Distanz und zugleich das Gefühl von Zerbrechlichkeit. Besonders tritt dieses Fragile in ihrem Triptychon im letzten „Akt“ ihres Kammerspiels zutage. Der zerschnittene und neu zusammengesetzte Körper scheint ins Bodenlose zu fallen. Kein wächserner Überzug gibt ihm äußeren Schutz. Hier tragen die inneren Mächte einen deutlicheren Kampf aus. Applaus für diese leise, irritierend gelungene Inszenierung. Heidi Jäger

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