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Die schauen, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Doch Kammerzofe Franziska (Elzemarieke de Vos) und Minna von Barnhelm (Franziska Melzer) haben es faustdick hinter den Ohren.

©  HL Böhme

Premiere im Hans Otto Theater: Glücksspiel der Liebe

Am Freitag ist Franziska Melzer als „Minna von Barnhelm“ im Potsdamer Hans Otto Theater zu erleben. Lessing plädiere in seinem Lustspiel für eine Liebe auf Augenhöhe, sagt sie.

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Mit ihren Antworten lässt sich Franziska Melzer Zeit. Schon bei der ersten Frage, was für eine Frau diese Minna von Barnhelm überhaupt ist, überlegt sie in Ruhe. Dann sagt sie, fast entschuldigend, dass sie bei ihrer ohnehin schon intensiven Auseinandersetzung mit der Minna gerade an dem Punkt sei, noch tiefer in diesen faszinierenden Charakter einzutauchen. Da sei eine Antwort gar nicht so einfach. Aber schon im nächsten Moment schüttelt Franziska Melzer all das Grüblerische ab und sagt mit herzlichster Fröhlichkeit, dass Minna von Barnhelm eine tolle Frau ist, voller Humor, intelligent, und dass sie liebt. Nur einmal in diesem Gespräch antwortet Franziska Melzer sofort. Auf die Frage, für welch eine Form der Liebe Gotthold Ephraim Lessing in seinem Lustspiel plädiere, sagt sie: „Für eine Liebe auf Augenhöhe.“

Ein früher Nachmittag vor der Kantine des Hans Otto Theaters. Intensive Probentage vor der Premiere von „Minna von Barnhelm“ am Freitag. Franziska Melzer ist tief in dieses Stück eingetaucht, diese Utopie einer Liebe, die alle Widerstände überwindet. Doch allein auf die Liebe will Franziska Melzer dieses Lustspiel nicht reduzieren. „Das ist nicht die Frage“, sagt sie. Es gehe vor allem um die Frage der Beziehung, die Minna von Barnhelm und der Major von Tellheim noch oder wieder haben können.

Lessing erzählt sein Lustspiel, das auch noch den Titel „Das Soldatenglück“ trägt, im Berlin von 1763, kurz nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges. Major von Tellheim, unehrenhaft aus der preußischen Armee entlassen, hat Geldsorgen und muss mit einem Verfahren wegen Bestechung rechnen. Zu allem Missgeschick wird der Major auch noch aus seinem Zimmer ausquartiert, in dem nun ausgerechnet seine Verlobte Minna von Barnhelm und ihre Kammerzofe Franziska wohnen. Minna ist mit bangen Gefühlen aus dem heimatlichen Thüringen nach Berlin gekommen, um zu erfahren, was mit ihrem Verlobten passiert ist, der sich nicht mehr bei ihr meldet. Doch es braucht nur ein kurzes Zusammentreffen mit Tellheim und sie weiß, dass sie sich ihrer Liebe zu diesem Mann noch immer sicher sein kann. Denn an dieser Liebe besteht kein Zweifel, auch für Tellheim nicht. Für ihn steht nur fest, dass er unter den gegebenen Umständen unmöglich die Ehe mit Minna eingehen kann.

Zum Glück begabt, sagt Franziska Melzer über diese Minna. Vital und übersprudelnd. Und wenn sie von Minna erzählt, dann blitzt da immer wieder etwas von dieser jugendlichen Unbekümmertheit, diesem Übersprudeln auf, bei dem man sich fragt, woher dieser Überschwang bei dieser jungen Frau, deren Bräutigam sich von ihr zu distanzieren versucht, überhaupt kommt. „Aus der absoluten Gewissheit ihrer Liebe“, sagt Franziska Melzer.

Gotthold Ephraim Lessing hat viel gewagt in seiner „Minna von Barnhelm“. Er lässt im 18. Jahrhundert eine junge Frau allein nach Berlin reisen, weil sie für ihre Liebe kämpfen will. Keine Liebe, der etwas Höheres, gar etwas Göttliches anhaftet. Liebe als reiner Selbstzweck, um glücklich zu sein, ein Rausch der Gefühle, dieser ungetrübte Glanz am Anfang. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Minna ist kein „Frauenzimmerchern“, auch wenn in diesem Stück immer wieder von „Frauenzimmerchen“ die Rede ist. Selbstbewusst, humorvoll und intelligent sieht sie sich in ihrer Liebe gleichwertig mit Major von Tellheim. Aber dann lässt Lessing es seine Minna auch noch ganz toll treiben in ihren Bemühungen, den Major von Tellheim für sich zurückzugewinnen.

Dieser Tellheim, der in dieser Umbruchszeit nach Ende des Siebenjährigen Krieges um seine Ehre gebracht scheint, mit dem spielt Minna nun ein Spiel, dass sich selbst Franziska Melzer gelegentlich die Haare raufen möchte. Es ist die Gewissheit der Liebe, die Minna so weit gehen lässt in ihrem emotionalen Glücksspiel. Und es ist ein Rausch, so Franziska Melzer, der sie dabei erfasst. Sie nennt es das Monte-Carlo-Gefühl, diese Alles-auf-Rot-Attitüde. „Es ist ein Spiel direkt am Abgrund. Und jeder Schritt kann bedeuten, dass der Absturz folgt.“

Für Franziska Melzer ist dieses Spiel nicht allein schauspielerisch eine Herausforderung. Sie, die sich als sehr empathischen Menschen bezeichnet, leidet regelrecht mit, wenn sie ihren Kollegen Wolfgang Vogler in der Rolle von Tellheim immer wieder vor den Kopf stoßen muss. Bis zum glücklichen Ende sind die beiden Liebenden wie auf kleine Inseln gebannt und es kostet Franziska Melzer Überwindung, ihre kleine Insel nicht schon früher zu verlassen und ihren Tellheim in den Arm zu nehmen. Aber die Komödie lebt von diesen Gemeinheiten. Und von der Sprache Lessings.

„Lessing ist der Größte“, sagt Franziska Melzer. Sie hat im März in Goethes „Torquato Tasso“ im Schlosstheater mitgespielt, dessen Sprache sie vor allem als eine Art Gesang bezeichnet. Kunstvoll und schön, aber doch recht sperrig. Lessing dagegen hat für das Theater geschrieben, für die Sprache gedacht, ein Wahnsinnsgeschenk für jeden Schauspieler, das Franziska Melzer, Ensemblemitglied am Hans Otto Theater seit 2009, in diesem Umfang zum ersten Mal ausgiebig genießen kann. Sie hat die Minna zwar schon einmal gespielt, aber das war vor neun Jahren im Rahmen ihres Schauspielstudiums in Berlin und nur eine Szene.

Regisseurin Isabel Osthus, mit der Franziska Melzer schon 2009 in Tennessee Williams’ „Glasmenagerie“ zusammengearbeitet hat, bringt „Minna von Barnhelm“ wie in einer Puppenstube auf die Bühne. Alle Räume sind einsehbar, nichts bleibt verborgen. Doch in diesem grellbunten, leicht rokokohaften Komödiantenstadl reicht Franziska Melzer nur ein kleiner Gegenstand, um ihre Fantasie zu beflügeln, dass sich eine Tür öffnet in diese so schöne, überhöhte Liebeswelt. Für Franziska Melzer liegen darin Kunst und Können von Isabel Osthus, mit so einfachen Mitteln in den Schauspielern etwas Neues zu wecken. Ein kleiner Funke genügt und dieses Liebeslustglücksspiel leuchtet in all seiner Pracht.

Premiere am morgigen Freitag, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse

Dirk Becker

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