Kultur: Große Gefühle
Grisebach mit Berlinale- Überraschung „Sehnsucht“
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Die Sehnsucht ist ein großes, ein mächtiges Gefühl. Jeder kennt das unausgesprochene Verlangen, jemand anderes an einem anderen Ort sein zu wollen. Einmal Vorstellungen und Träume wahr werden zu lassen. Für Valeska Grisebach, die am Dienstag als Gast des Filmverbandes Brandenburgs im Filmmuseum ihren gleichnamigen Film vorstellte, ist die Sehnsucht „eine weite Landschaft in der man versinken möchte.“ Leider, sagte sie im Gespräch mit Christine Handke vom Filmmuseum, wäre man jedoch immer nur ein Mensch mit nur einem Leben.
Ella und Markus sind solche Figuren. Wie du und ich sollten sie sein, denn die Schicksal spielende Sehnsucht stecke in jedem, nicht nur in Filmstars und ihren Rollen, sagt Grisebach. „Jeder ist Star seines Lebens.“ Und deswegen habe man mit Laiendarstellern arbeiten wollen, wie sie es schon in ihrem gefeierten Debüt „Sterne“ ausprobiert hatte. Ilka Welz, die die Ella großartig spröde und gleichzeitig brodelnd spielt, die sich so nach Markus sehnt, dem Schlosser und Feuerwehrmann, ist im wirklichen Leben Krankenschwester in Berlin. Eigentlich wollte sie nur ihren Freund zum Casting bringen und wurde selbst entdeckt. Ja, das Melodramatische, das in der kargen Landschaft und in der Wortlosigkeit des Films selbst zu liegen scheint, steckt in jedem.
Ob der Filmneuling Welz sich leicht in die Geschichte hineinfinden konnte, wird sie gefragt. Ihre Antwort charmant, entwaffnend: „Eigentlich geht es um Dinge, die jeder nachempfinden kann, von daher war das also nicht so schwierig.“ Ella sehnt sich nach ihrem Ehemann Markus, einem verschlossenen Jan-Ulrich-Typ. Der sagt: „Ich würde alles für dich tun.“ Eine perfekte Liebe wäre es also auf diesem schlichten Dorfhof, wo Markus im Stall Metall feilt und Ella ihn dabei anhimmelt. Aber das Drama ist wie die Sehnsucht auch überall. Es kann hinter jeder Kurve der Landstraße auftauchen. Markus (Andreas Müller) fährt in die trostlose Stadt, in der die geschorenen Köpfe der Weiden schon Trauer tragen. Ein Lehrgang der Feuerwehr. Dort, in einer Kneipe, trifft seine Sehnsucht auf sein Schicksal. Die Kellnerin Rose (Anett Dornbusch). Dort, wo Paartanz im Diskofox zu einer Feier dazugehören, hat Kameramann Bernhard Keller der Sehnsucht von Markus eine starke filmische Entsprechung gegeben. Zu Robbie Williams Schmachtopus „Feel“ bewegt er sich trunken alleine auf der Tanzfläche. Als er am Morgen mit Brummschädel wieder aufwacht, ist es Rose, die ihm Kaffee anbietet, nicht Ella.
Groß ist die unbestimmte Sehnsucht, die den wortlosen Markus peinigt. Groß ist, mit welchen Mitteln Grisebach und ihr Team diese Darstellung aus den Laienschauspielern heraus holten. Voraussetzung wäre, so die Autorin und Regisseurin, eine lange Vorarbeit, in der die „alltägliche Körperlichkeit“ der Figuren langsam erlernt werde. Gemeinsam Eheringe kaufen, stand da spielerisch auf dem Programm. Oder die Mitglieder der Filmfamilien kennen lernen, wie die Oma, der Ella ihre Bewunderung in das altersfleckige Gesicht spricht: „Bist du schön!“
Es wäre schwierig gewesen, den Institutionen, die für die Finanzierung sorgen sollten, zu vermitteln, dass man „nicht ganz mit Drehbuch“ arbeite, meint Grisebach. Das von der lobenden Kritik gemünzte Genre „Dokumentarisch“, möchte sie dennoch nicht für Sehnsucht gelten lassen. „Durch und durch Fiktion“, sagt Grisebach, wäre der Film trotzdem. Das Drehbuch sieht nämlich wunderbare Sätze vor, die aus dem langweiligen Allerweltsort Zühlen Shakespeares Verona machen. „Ich begehre dich so!“, ist so ein Satz, der aus Ella eine Julia macht.
Der Auftritt auf der Berlinale war für Ilka Welz, die Krankenschwester, „fürchterlich aufregend“, über die tollen Kritiken habe sie sich „tierisch gefreut“. Ihrer Regisseurin ging es allerdings genauso. Welz hat bislang keine weiteren Filmrollen angeboten bekommen. Ihr natürlicher Charme, der Grisebachs Melodram mindestens zu einem Drittel trägt, bleibt also vorerst in ihrer privaten Sehnsuchtswelt. Über das Leben als Schauspieler kommt ihr ein Satz über die Lippen, der das Publikum im Filmmuseum zum Lachen bringt und in seiner Direktheit von Ella stammen könnte: „Grundsätzlüsch kam mir det nich wie Arbeit vor.“ Ins Kino kommt „Sehnsucht“ im August.
Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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