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Alle drei sind pleite. So beschließen Kurt (Oskar Karlweis),Willy (Fritsch), und Hans (Heinz Rühmann), v.l., eine Tankstelle zu eröffnen.

© Filmmuseum

Kultur: „Großer Gott, wir sind bankrott“

Wilhelm Thieles „Die Drei von der Tankstelle“ aus dem Jahr 1930 im Filmmuseum / Von Alexa Eberle

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Babelsberger Filmgeschichte wird im Filmmuseum Potsdam gehegt und gepflegt. Filmtechnik, Dokumente, Kostüme und Nachlässe werden gesammelt und dem Publikum präsentiert. Zur Aufführung kommen neben herausragenden aktuellen Produktionen auch filmgeschichtliche Kostbarkeiten. In unserer Serie „Filmklassiker vorgestellt“, die gemeinsam mit dem Museum entstand, stellt Alexa Eberle, Mitarbeiterin des Filmmuseums Potsdam, heute den Film „Die Drei von der Tankstelle“ (1930) von Wilhelm Thiele vor, der am 29. Juli um 18 Uhr im Marstall zu sehen sein wird. Er läuft im Rahmen des Begleitprogramms zur ständigen Ausstellung „Traumfabrik. 100 Jahre Film in Babelsberg“.

1927 wird in den USA der erste abendfüllende Tonfilm „The Jazz Singer“ aufgeführt – der Siegeszug der „Talkies“ ist unaufhaltbar; wer jetzt nicht umrüstet, hat verloren. Die Ufa beschließt Anfang 1929, die Hälfte ihrer Jahresproduktion auf Tonfilme umzustellen. Eilig entstehen vier miteinander verbundene schalldichte Ateliers, schon im September kann im Tonkreuz zu drehen begonnen werden.

Eine der ersten Produktionen, die dort entstehen, ist mehr als „nur“ ein Tonfilm: die erste deutsche Tonfilm-Operette! „Liebeswalzer“ (1930), produziert von Erich Pommer, wird der zweiterfolgreichste Film der Saison. Die Hauptdarsteller Lilian Harvey und Willy Fritsch avancieren zum Kino-Traumpaar. Eingängige Melodien und Liedtexte funktionieren also nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf der Leinwand. Das Konzept verlangt nach einer Fortsetzung.

Pommer engagiert zum Erfolgsteam von „Liebeswalzer“ – dem musik begeisterten Regisseur Wilhelm Thiele, dem Komponisten Werner Richard Heymann, den Zugpferden Harvey und Fritsch – die Autoren Franz Schulz und Paul Frank dazu. Sie liefern, so Harvey, „das lustigste Drehbuch, das ich je gelesen habe“.

Die Handlung – banal. Willy (Fritsch), Kurt (Oskar Karlweis) und Hans (Heinz Rühmann) kommen von einer Reise nach Hause und stellen fest, dass sie „pleitissimo“ sind. Alles wird gepfändet – bis auf Hund und Auto. Das Auto verkaufen sie und eröffnen eine Tankstelle. Alle drei verlieben sich in Lilian (Harvey), Irrungen und Wirrungen folgen, bis sich zuletzt das Traumpaar ehelichen darf.

Was neu ist: Es ist kein uniformseliger Operettenstoff, der Plot spielt im Hier und Jetzt, im „Automilieu“. Und vollgepackt ist das Buch mit schlagfertigen Dialogen. Mit wie viel Spaß und Verve alle Schauspieler diese Vorlage umsetzen, ist dem Film jede Minute anzusehen. Da wird ganz selbstverständlich singend das Mobiliar aus der Villa getragen, flirtend an der Tankstelle gesteppt und geträllert, im Büro ein großes Revue-Finale mit allem erdenklichen Pipapo veranstaltet. Damit liefert Thiele dem amerikanischen Filmmusical entscheidende Anregungen. Die Kritiker sind begeistert: Hier werde das neue Genre „auf das bis dahin unerforschte Gebiet der musikalischen Komödie fortgesetzt“. Franz Planers Kamera sei meisterlich. Die Liedtexte zaubert Robert Gilbert – ein weiterer Coup Pommers, dem begnadeten Heymann einen kongenialen Partner zur Seite zu stellen. Das romantische „Liebling, mein Herz lässt Dich grüßen“, das mitreißende „Ein Freund, ein guter Freund“ und das quietschvergnügte „Lieber, guter Herr Gerichtsvollzieher“ werden Gassenhauer. Das Publikum drängt in die Kinos, um den harten Alltag zu vergessen. Der ist geprägt von Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichee Destabilisierung, die Weltwirtschaft steht vor dem Kollaps. Gilberts Ironie „Wir hatten Gut und Geld und Tausenderlei / nun ist das schöne Leben vorbei / statt Whiskey gibt's jetzt Limonade / und statt Kaviar Marmelade / großer Gott / wir sind bankrott“ kommt an.

1933 lässt die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler die „Traumfabrik“ kollabieren: Am 29. März, einen Tag nach Joseph Goebbels Rede vor Filmschaffenden im Berliner Hotel Kaiserhof, beschließt die Ufa, Verträge mit jüdischen Mitarbeitern zu lösen. Pommer, Thiele, Heymann, Gilbert, Schulz, Frank, Planer, Karlweis und weitere großartige Künstler, die in „Die Drei von der Tankstelle“ mitgewirkt haben, verlassen Deutschland.

Heyman kehrt Anfang 1950 zurück. In einem Gästebuch liest er: „Wer gegen Juden kämpft, ringt mit dem Teufel!“, 1933 von Julius Streicher, dem Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, geschrieben. Heymann kommentiert in Anlehnung an seinen Hit aus der Erfolgs-Operette „Der Kongreß tanzt“ (1931): „Den gab’s nur einmal, der kommt nie wieder, doch 1000 Streicher spielen noch meine Lieder!“

„Die Drei von der Tankstelle“, zu sehen am Sonntag, 29. Juli, 18 Uhr, Filmmuseum, Am Marstall 1

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