Kultur: Halt, stehen bleiben!
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit: Der rbb zeigt heute Filme von Studenten der Babelsberger HFF
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Es klingt bedrohlich und doch fast wie eine freundliche Aufforderung: „Halt, stehen bleiben“, sagt der Mann. „Schmeißen Sie die Waffe weg“, siezt er den Unbekannten im Dunkeln, Schüsse fallen. Dann Stille. Die Kamera schwenkt auf eine Hand voll Polizisten. Sie grinsen, machen sich lustig über den fetten Wiedling und seine wieder mal im Niemandsland gelandete Kugel. Alles nur Übung. Gleich in der ersten Szene von „Wiedling“ wird klar, dass der fette Polizist (Heiko Pinkowski) kein leichter Fall ist. Eingezwängt in die Hülle einer beleidigten Leberwurst haut er ab. Das kann kein gutes Ende nehmen, man ahnt es sofort. Und so kommt es denn auch. Das Schicksal schlägt zu. Und stellt den Fettwanst, der sich in jeder freien Sekunde mit Schokolade, Cola oder Pommes vollstopft, auf eine harte Probe.
Gleich um zwei Problemfälle geht es heute in den rbb-movies, einer Filmreihe, in der der Sender zur späten Stunde Kurzfilme von Filmstudenten zeigt und den Nachwuchs-Filmemachern damit die tolle Chance gibt, sich einem großen Publikum zu präsentieren. „Wiedling“ von Christian Mertens dreht sich um das Thema Verdrängung. Die anschließend gezeigte Sciencefiction-Satire mit dem witzig verweiblichten Titel „Alienne im Glück“ (Regie: Sandra Ehlermann) spielt mit Wahrheit und Fantasie: Eine Alien-Frau landet in Berlin und sucht dort nach etwas, was nur ein Fan von Raumschiff Enterprise versteht.
Und das vorweg: Aufbleiben lohnt sich. Beide Filme sind sehenswert. Sie erzählen spannend, in einer ungewöhnlichen Filmsprache, mit sehr guten Schauspielern, schönen Szenenbildern und einer Ruhe, die ganz nah an die Figuren in den Geschichten heranführt. Nur der eine, „Wiedling“, ist dann doch zu voraussehbar in seiner Geschichte und zu sehr pädagogisch moralisierend gewürzt. Er wollte die Situation auf die Spitze treiben, eine tragikomische Geschichte erzählen, sagt der Regisseur zu seinem Film. Unglaublich: Ein Polizist, der, nach dem er einen Jugendlichen erschossen hat, Geburtstag feiert. Aber die Wirklichkeit ist noch viel unglaublicher – Mertens Geschichte ist viel zu realistisch, um überzogen komisch zu wirken.
Sandra Ehlermann hat sich das einfacher gemacht: Sie lässt ihren Film gleich ganz bewusst zwischen Realität und Fiktion springen. Ihre Geschichte ist so etwas wie ein Märchen – und kommt doch der Wirklichkeit zum Schluss näher.
Alienne landet mit ihrem Raumschiff, einem hohen Kühlschrank, auf einer Kuhwiese. Und Alienne ist zielstrebig, denn sie hat eine Mission zu erfüllen. Sie tauscht ihren galaktischen Leuchtstein gegen ein weißes Pferd und reitet nach Berlin. In der Stadt begegnen ihr freundliche und weniger freundliche Erdenmenschen. Sie muss sich durchkämpfen, wird von der Polizei festgenommen, findet schließlich einen Freund, der sie versteht. Mit feinem Sinn für Humor begleitet der Film die Frau in Plastikgrün auf ihren Erdenwegen. Man muss lachen, wenn sie gegen ihr einfaches Raumschiff tritt oder sie das Spock-Zeichen macht.
Es gibt den Erzähler Moritz, der sich aus dem Off mit seinem Vater, Kommissar Steinwetz, unterhält. Es gibt die eingeblendeten Verhörprotokolle, die den Weg der Verschwundenen in einer zweiten Erzählebene nachzeichnen. Und es gibt die direkte Handlungsebene, in der man die fremde Frau mit der blechernen Stimme durch die Straßen ziehen sieht. Und das alles verbindet sich ganz organisch zu einer Geschichte, bei der man nie das Gefühl hat, nicht mehr mitgenommen zu werden. Immer wieder gibt es Szenen, in denen irgendjemand irgendetwas tut, mit dem man nicht gerechnet hat. Die Geschichte ist zwar nicht glaubhaft, aber nachvollziehbar. Und fast wünscht man sich, dass man einer solchen Außerirdischen einmal im wirklichen Leben begegnet und sie den Alltag aufmischt. Ein schöner Film, der unterhält und trotzdem unter die Oberfläche seiner Charaktere führt. Und das mit Humor. Marion Hartig
Heute im rbb, 23.15 Uhr: Wiedling, 23.45 Uhr: Alienne im Glück
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