Kultur: Haltlos
Loutop bietet ab Sonntag open air an der „fabrik“ eine Begegnung von Zirkus, Tanz und Musik
Stand:
Sie verlieren den Boden unter den Füßen und versuchen, in der nächsten Dimension Halt zu finden. Offensichtlich kein leichtes Unterfangen. Jedenfalls steht die Erfinderin dieser luftig-dramatischen Begegnungssuche, Moni Wespi, nicht mehr mit auf der Bühne. „Wir haben bei den Proben zu ,Attache’ einen kleinen Unfall gebastelt“, sagt die Schweizer Choreografin in ihrer wunderbar schrägen Sprachweise und zeigt auf ihre Fingerkuppe, die nun um einen Zentimeter kürzer ist. „Macht nichts, Exterieur zu sein, hat auch seine Vorteile“, fügt sie unbeschwert an.
Für Moni Wespi windet sich nun ab Sonntag im „fabrik“-Garten eine andere Tänzerin in den Gummibändern vertikal durch die Luft, balanciert auf einer gefährlich steilen Rutsche und schwebt an dem einsamen Drei-Meter-Turm. Der wird von einem Musiker bewohnt, der auf seinen selbst gebauten Instrumenten abenteuerlich metallische und auch elegische Klänge herauslockt und die beiden Suchenden – Mann und Frau – auf ihrer absurden Reise des Nichtzueinanderfindens begleitet. Die moderne Klangtüftelei paart sich in „Attache“ (Begegnung) mit einer skurrilen Tanzsprache und einer virtuosen Zirkusartistik und lässt im Dreiklang ein Trashmärchen entstehen: düster-komisch und sehr poetisch, wie die Ankündigung verspricht.
Erzählt wird über das ganze normale Problem der Annäherung zweier Menschen, die etwas von sich selbst preisgeben müssen, um in Kontakt zu treten. Mann und Frau geben zwar alles, um sich zu finden und kreisen doch nur einsam umeinander. Und wie in jeder kleinen Alltagsgeschichte lässt sich darin auch eine große herauslesen.
Moni Wespi findet für diese zwei „Königskinder“ originelle Bilder. Der Mann geht auf Stelzen oder dreht sich in einem Reifen: ein verspielter Zirkusartist, neugierig und freiheitsbesessen. Die Frau verstrickt sich indes in ihrer Hülle. Ihr wachsen riesige (Gummi)-Arme und doch kriegt sie den anderen nicht zu fassen. Deformationen des Körpers, durch die der eine zu groß für den anderen wird. „Es sind extrem komische Bilder“, sagt Moni Wespi und wenn man die Inszenierungsfotos sieht, glaubt man ihr sofort.
Das Spiel auf dem metall-rostigen Bühnenkonstrukt, recycelt aus alten Teilen, in denen das Leben schon drin steckt, versteht Moni Wespi als eine Kreation zwischen Theater- und Straßenszene. Kein Straßentheater mit roter Clownsnase, sondern Kunst, die sich auf das Publikum zubewegt, raus aus dem Theater, hinein in die Natur. Mal auf einer Industriebrache, dann wie jetzt auf einer Wiese vor hohen Bäumen als Kulisse.
Bevor die Züricherin vor fünf Jahren ihre eigene Companie gründete, tanzte sie für andere Choreografen an festen Häusern. „Aber wenn ich irgendwo Open-Air-Stücke sah, hat mich das so angezündet, dass ich irgendwann wusste, das will ich selber machen. Ich musste raus an die Luft.“ Natürlich ist die Konzentration in einem Theaterraum höher. Aber sie findet es herrlich, wenn der Wind vorbeizieht, der Mond hinter dem Bühnenbild aufgeht. Und geregnet hat es auf ihrer Tournee durch Holland und Polen, zu der sie im Juni aufgebrochen waren, nur ein einziges Mal. Das war an der letzten Station vor Potsdam: in Bremen. Sie sind dennoch auf ihren Turm geklettert.
Wird man nach so vielen Wochen Herumreisen nicht tourneemüde? „Ja. Doch“, sagt sie nach kurzem Überlegen. „Aber müde wird man überall. Man muss sich dann ein kleines Stündchen für sich selbst nehmen.“ Sie werden aber keineswegs bis Sonntag, dem Auftakt ihres Potsdam-Gastspiels mit sieben Vorstellungen, am Tiefen See in der Hängematte dösen. „Wir fahren nach Berlin, Stücke schauen und Tanztraining nehmen. Solange wir arbeiten können, ist es schön“, sagt die im leger-sportlichen Schwarz gekleidete Frau mit dem frechen Pony, die ganz genau weiß, dass Tanz für sie die alleinige Bestimmung ist. Sie hat es getestet.
Nach ihrer Tanzausbildung studierte sie Innenarchitektur. Dann begann sie eine Schreinerlehrer. „Ja, genau in dieser Reihenfolge. Ich mache immer alles umgekehrt“, entgegnet sie dem fragenden Blick. Bei der Suche nach einem Standbein stellte sie fest, dass es gerade das Spielerische des Tanzes ist, was ihr am meisten entspricht. Doch wenn sie sich heute ihre Bühnenbilder austüftelt, wie diesen riesigen Turm, kommen ihr die praktischen „Abschweifungen“ durchaus zugute. „Innenarchitektur war eine beklemmende Angelegenheit, tagelang musste ich Pläne malen und auch beim Schreinern ging es ums Millimeter genaue Kalkulieren.“ Sie probiert sich lieber kreativ aus, das aber auch bis in die extreme Perfektion getrieben.
Moni Wespi kennt viele Tänzer, die mitten im Berufsleben stehen und immer am Zweifeln sind, ob der Tanz nicht doch auf Dauer zu hart oder zu streng sei. Sie selbst hat für sich alle Zweifel ausgeräumt. „Loutops“ – eine namentliche Mischung aus Utopie und Looping – ist für sie ihre Familie. Obwohl in ihrem jetzigen Stück die drei Darsteller und selbst die Straßenlaterne ihre Bodenhaftung verlieren, scheint sie selbst zutiefst geerdet zu sein, auch wenn der Kopf die verrücktesten Pirouetten dreht. „Ich habe immer erst die Bilder für eine Choreografie. Danach finden wir das Thema. Die Bildende Kunst bewegt sich zum Tanz hinüber.“
Moni Wespi ist nicht nur künstlerische Leiterin, Choreografin und Tänzerin. Sie ist auch die Szenografin von Loutop. „Ich kann zeichnen und bauen, weiß, was möglich ist.“ Schon als Kind hat sie viel gemalt und gebastelt und ihre Mutter nährte dieses Interesse. „Ich komme aber nicht aus einer Künstlerfamilie, mein Vater ist Hotelmanager, meine Mutter Hausfrau.“ Sie habe sehr lange viel geträumt, während die anderen Kinder schon funktionierten, erzählt die heute 34-Jährige. Und sie träumt weiter, in anderen Dimensionen. Auf dem schwebenden Bühnenboden, den sie im nächsten Stück auf jeden Fall wieder selbst mit betanzen wird. Sie hat viele Ideen. „Zu viele für andere Choreografen“. Also dreht sie mit Loutop ihre eigenen Runden. Bodenlos, in neuen Sphären.
Am Sonntag, dem 28. August, 11 und 16 Uhr, sowie vom 31. August bis 3. September, jeweils 20 Uhr, und am 4. September 16 Uhr, open air an der „fabrik“, Schiffbauergasse, Karten im Vorverkauf 10, ermäßigt 7, bis 16 Jahre 4 Euro, an der Abendkasse 12, ermäßigt 9, bis 16 Jahre 6 Euro.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: