Kultur: Harmonie und Widerspruch
Nachdenken über die endgültige Bewerbungsschrift Potsdams für die Kulturhauptstadt 2010
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Nachdenken über die endgültige Bewerbungsschrift Potsdams für die Kulturhauptstadt 2010 Von Klaus Büstrin Der Countdown läuft. Die „Sommer-Edition“ für die Bewerbung der brandenburgischen Landeshauptstadt zur Kulturhauptstadt 2010 ist erschienen. Gestern übergaben Kulturministerin Prof. Johanna Wanka und Oberbürgermeister Jann Jakobs die Bewerbungsschrift dem Auswärtigen Amt. Mit Potsdam fiebern weitere neun deutsche Städte dem Tag entgegen, wenn nach weiterer Prüfung im Bundesrat eine Expertenkommission der Europäischen Union ihre Entscheidung bekannt gibt, wer in gut sechs Jahren den Ehrentitel „Kulturhauptstadt Europas“ tragen darf. Einige prominente Bewohner der Stadt durften sich in der 160-seitigen Bewerbungs-Broschüre zu Potsdam äußern. Beispielsweise der Modedesigner Wolfgang Joop. „Potsdam ist Harmonie und Widerspruch zugleich: Provinz und Residenz. Sein Geist bestimmt von Royalismus, Toleranz, Humanismus, Militarismus und Eklektizismus, Bohéme und Beamtenmief. Fast zerstört von Großspurigkeit und Kleingeistern. Von Faschismus, S-E-Dismus, falschem Fortschrittsdenken und falsch verstandener Stadtsanierung. Doch sein wahrer Kern ist hart und glänzend wie ein Diamant. Unzerstörbar in seiner fragilen Schönheit und Poesie „Potsdam, mon amour!“ Potsdam – meine Liebe, dies sagen viele Einwohner, Besucher, und nicht nur Prominente. Und dass diese Stadt Harmonie und Widerspruch in sich birgt, dies ist täglich erfahrbar. Die Autoren der Bewerbung teilen mit, dass sie unter der Schirmherrschaft der Bürgerschaft Potsdams entstanden ist. Ein großes Wort. Doch die Potsdamer müssen noch intensiver überzeugt werden von der Kulturhauptstadt-Bewerbung, dass sie auch dann von Nutzen war, wenn es mit dem Titel nichts wird. Mitgenommen werden auf dem Weg der Bewerbung, andere in der Begeisterung anstecken, Ideen und Kritik nicht verbergen und annehmen – das sind Aufgaben, die sich die hauptamtlichen Kulturhauptstadt-Bewerber – natürlich nicht nur sie – auf ihre Fahnen schreiben müssen. Gegenüber der Frühjahrs-Edition sind die Verfasser der Bewerbungsschrift einen sehr guten Schritt nach vorn gegangen. War die damalige „Aktion“ reichlich plakativ in den Aussagen, hatte man wesentliche „Kultur-Arbeiter“ der Stadt ausgeklammert beziehungsweise vergessen (in der jetzigen Ausgabe vermisst man zwar immer noch Veranstaltungsreihen, die seit Jahren eine feste Größe in der Stadt sind. Oder werden sie nicht zur Kenntnis genommen?), so ist sie jetzt umfassend. Auch die Fotografien vermitteln diesmal ein lebendiges Bild von der Vielfalt kulturellen und künstleríschen Lebens, von Orten, in denen Wissenschaft und Forschung seit Jahrzehnten einen guten Platz haben. Zwei Teile findet man in der Schrift. Im ersten Geschichtliches und Vorhandenes, Visionen zur Kulturhauptstadt sowie die Schritte zu ihrer Verwirklichung. Im zweiten Teil wird ein dokumentierender Blick auf Potsdam geworfen. Auch derjenige, der seit Jahrzehnten mit Potsdams Kultur verbunden ist, staunt, wie viele Kultureinrichtungen in der Stadt vorhanden sind. Die Broschüre versucht einen Überblick zu geben, so über Theater, Museen, Galerien, Ausstellungen, Chöre, Orchester und Bands, Sozioeinrichtungen, Feste und Festivals, Medien und Film, Kirchen Hochschulen, Forschungseinrichtungen sowie Sport. Ein Kulturfahrplan wird bis 2010 die Menschen der Stadt und ihre Gäste begleiten. Jedes Jahr gibt es ein spezielles Motto: Lebendige Stadt: Die Kultur im Zentrum (2005), Architektur: Die Kultur von Räumen und Träumen (2006), Film und Neue Medien: die Kultur zum Sehen (2007), Bildende Kunst: die Kultur des Kreativen (2008) und Jugend in Aktion: Die Kultur der Zukunft (2009) – Themen, die die Bewerbungsschrift beschäftigt. Natürlich ist das große Interesse für Potsdam in seiner landschaftlichen Schönheit, vor allem in seiner Geschichte zu sehen. In 200 Jahren haben Preußens Könige bedeutende Kunstwerke geschaffen und gesammelt. Die Schrift würdigt dieses KapitelPotsdamer Kunstgeschichte eindringlich, ohne in touristische Plattitüden zu verfallen. 100 Jahre Film – natürlich darf dieses Medium nicht fehlen, hat es doch sehr oft zum Ruhm vor allem des Stadtteils Babelsberg beigetragen. „An kaum einem anderen Ort in Europa kann man durch europäische und deutsche Filmgeschichte wandeln und dabei auch einem Oscarpreisträger bei der Arbeit begegnen“, schreiben die Autoren. Warum nur Potsdam Kulturhauptstadt werden kann, fragt man schließlich sehr selbstbewusst. Ein gesundes Selbstbewusstsein ist für die Kulturhauptstadt-Bewerbung und für die hauptamtlichen Macher vonnöten. Friedrich der Große war von sich und seiner Politik überzeugt. Ein Briefauszug gibt davon Kunde: „Potsdam war ein elendes Nest aus der Zeit meines Vaters. Wenn er wiederkäme, würde er sicher die Stadt nicht wiedererkennen, so sehr habe ich sie verschönt.“ Sollte Friedrich II. die Stadt, besonders die alte Mitte, heute sehen, würde er sich im „Grabe umdrehen“. Doch die Kulturhauptstadt-Bewerbung setzt zusätzlich Visionen für einen architektonischen Wandel im Zentrum Potsdams frei. Die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche wird im kommenden Jahr gefeiert. Dass die Landeshauptstadt mit einem sehr gut gefüllten Veranstaltungskalender aufwarten kann, wissen die Medien am besten, die ihn täglich ankündigen. Das Hans Otto Theater ist nach wie vor eine der wichtigsten Kultureinrichtungen der Stadt. In zwei Jahren endlich erhält es nach fast sechzig Jahren ein neues Haus, das man seit gut 40 Jahren den Theaterleuten und den Potsdamern immer wieder versprochen hat. Und frischer Wind wird auch mit dem neuen Theaterintendanten, Uwe-Eric Laufneberg, erwartet. Die vielen freien erfolgreichen Theatergruppen sind in der Darstellung zwar nicht vergessen, jedoch leider nur mit zwei Sätzen erwähnt. Das neue Konzerthaus, der Nikolaisaal, ist nun schon ein paar Jahre alt. Die Konzertreihen, sein Hausorchester, die Kammerakademie Potsdam, können sich über einen guten Ruf weit über die Stadt hinaus erfreuen. Potsdam ist ja seit Friedrich II. eine Stadt, in der die die Musik den Ton angibt. Dies macht die Bewerbungsschrift ganz deutlich. Die Musikfestspiele Sanssouci, Konzerte in Kirchen, die Chöre haben längst ein hohes Renommé erlangt. Auch über das Engagement der fabrik mit ihren Tanz-Angeboten wird berichtet. Und dann natürlich über die Museen, die über Stadt- und Filmgeschichte Auskunft geben, über die Bildergalerie im Park Sanssouci. Doch über die fehlende Kunsthalle wird kein Wort verloren. Die Autoren verschweigen mit ihren pauschalen Aussagen nicht, dass es in der Kultur Potsdams noch Defizite gibt, „gerade in Zeiten knapper Kassen und rückgängiger Steuereinnahmen der Kommunen. Doch diese Situation begreift Potsdam als Herausforderung.“ Und somit war es sehr wichtig, bürgerliches Engagement in Potsdam hoch zu loben. Schließlich haben die Landeshauptstädter es selbst mit ermöglicht, dass morbide wertvolle Gebäude wieder in neuem Glanz erstehen konnten. „Potsdam – ganz jung“ heißt ein Kapitel. Über die erfolgreichen soziokulturellen Jugendzentren erfährt man in ihm, über den Lindenpark, den Offenen Kunstverein, das Waschhaus. Es ist auch ein Gewinn, dass die wissenschaftlichen Einrichtungen, Denkschmieden wie beispielsweise das Einstein Forum, das Deutsche Kulturforum östliches Europa, das Moses Mendelssohn Zentrum, die Hochschullandschaft in die Bewerbungsschrift Eingang fanden. Die Broschüre ist ein lesbares und umfangreiches Dokument. Mit ihr lässt sich gut für Potsdam werben. Ohne die Bewerbungsschriften der anderen Städte gelesen zu haben, kann man nach der Lektüre der Potsdamer Edition selbstbewusst sagen: Eigentlich kommt nur die brandenburgische Landeshauptstadt für den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ in Frage.
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