Kultur: Heilen durch Erinnerung
Entlang der ehemaligen Mauer / Stephan Krawczyk singt am 13. August an der Glienicker Brücke
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Am 13. August erinnert die Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 an der Glienicker Brücke der Opfer der deutschen Teilung. Sie lädt ab 16 Uhr zu einem Gang am Ufer des Junfernsees entlang der ehemaligen Mauer ein und informiert an vier Haltepunkten über das DDR-Grenzregime. Um 18 Uhr singt Stephan Krawczyk im Garten der Villa Schöningen. Bob Bahra, Leiter der Arbeitsgruppe Potsdamer MauerVerlauf, befragte den Liedermacher, mit dem er befreundet ist, zu seinem Konzert und zu seinen Potsdam-Erfahrungen.
Stephan, wir freuen uns, dass Du am 13. August ein Konzert zum Abschluss des Potsdamer MauerVerlaufs 2010 geben wirst. Was wirst Du singen?
Alte und neue, politische und unpolitische Lieder. Das Mauer-Thema wird schon im Zentrum des Vortrags stehen. Ich lese auch etwas darüber aus einem meiner Bücher. Am Anfang ein pfundiges Lied über die DDR: (Singt) „Da schmeisst ‘ne Frau im schönen hohen Bogen das allerheiligste Parteibuch hin, das ist für sie der große Wurf gewesen ...“
Du hast auf der Bühne mindestens drei Gitarren und zwei Bandoneon zur Hand. Warum?
Weil ich nicht vorher weiß, welche Lieder ich singen werde, das hängt von der jeweiligen Situation ab. Und weil ich die Lieder unterschiedlich instrumentiert habe. Das Programm entsteht auf der Bühne.
Ich glaube, Biermann nannte Potsdam mal das ,Stasi-Nest’. Wie stehst Du zu dieser Stadt?
Ach, der Biermann, der haut immer solche Sachen raus. Diese Stadt hat doch einen längeren Atem. Früher hielt ich Potsdam für den Hort des preußischen Militarismus, heute gehe ich durch die Stadt und finde sie einfach schön. Mir ist Potsdam aber nicht so auf den Leib geschrieben wie Leipzig und Berlin.
Du hast an einem Theaterprojekt des Hans Otto Theaters mitgearbeitet. Was hat Dich daran interessiert?
Du meinst das Stasi-Stück „Staats-Sicherheiten“. Es war eine gute Möglichkeit für die Betroffenen, also für die Mitspieler, öffentlich über ihre Traumatisierung zu reden, Dinge in Fluss zu bringen. Sie werden ernst genommen. Es mangelt ja an einem Dialog zwischen ihnen und den Betrachtern. Und wenn es dann passiert, ist es entspannend für die psychischen Bedingungen, mit denen sich der Einzelne herumschlagen muss. Das trägt zur Heilung bei.
Heilen durch Erinnern?
Natürlich. Ihr erinnert in Eurem Förderverein an die Mauerzeiten. Sich der Dinge zu erinnern, wie sie gewesen sind, ist darum wichtig, weil man dann genauer an diese Dinge herangehen kann. Und das ist in jedem Fall identitätsstiftend.
In Potsdam kann sich kein Tourist vorstellen, dass auch hier eine Mauer stand, die nicht nur Menschen trennte, sondern auch eine der prächtigsten Kulturlandschaften Europas. Übrigens wird während des MauerVerlaufs der Potsdamer Kunsthistoriker Heinz Schönemann über die Zerstörung und Heilung dieser Landschaft informieren.
Ja, alles soll vergessen werden, aber wir leben noch und erachten diese Dinge für wichtig und notwendig. Wenn wir gestorben sind, wissen wir nicht, ob nach uns jemand da sein wird, der das mit ebensolcher Brisanz empfinden kann.
Na klar, es ist dann nicht mehr die Brisanz aus Erfahrung.
Es ist nicht die Brisanz aus Erfahrung, sondern der Empfindung. Du musst für das brennen, was du den Menschen mitteilst, weil du der Ansicht bist, dass die das wissen müssen. Warum sie aber gerade das wissen müssen, ist deiner Subjektivität überlassen. Hilfreich ist gewiss die Authentizität eines Ortes, das macht die Menschen klüger.
Einspruch. Die Orte verlieren mit jeden Tag, den sie sich von ihrer einstigen Bestimmung entfernen, an Authentizität. Mauern sind weg, Gefängnisse geschlossen. Aber es kann eine neue Authentizität durch Kunst entstehen. Wieland Försters „Nike“ an der Glienicker Brücke, sein „Opfer“ in der Lindenstraße, dort auch Stefan Roloffs Video-Installation und Deine Lieder sind Belege dafür.
Darum geht es wohl, mit allen Mitteln der Kunst so zu erinnern, wie es Zahlen nicht schaffen können. Wenn ich mich in den Orten der Kindheit und Jugend nicht mehr wiederfinde, rufe ich die eigenen Geschichten auf. Das ist keine Ostalgie, sondern die Trauer darüber, dass das eigene Leben vergänglich ist.
Auf der letzten Seite des ersten Teils Deiner Autobiografie „Das irdische Kind“ beschreibst Du Veränderungen in Deiner Heimatstadt. „Direkt vor den Hinterhausgärten der Mozartstraße haben sie eine Fernverkehrsstraße hingeklatscht.“ Wer sind „die“? Klingt nach „Feinden“.
Nee, keine Feinde, sondern die, die sie da jetzt hingeklatscht haben. Mein Bruder hat mir damals auf meine Frage, warum ich Berufsverbot habe, geantwortet: „Wenn wir das so beschlossen haben, dann hat das seine Richtigkeit.“ Dieses „Wir“-Gefühl hatte ich nie, auch nicht, als ich noch Genosse war.
In einem „stern“-Interview hast Du Dich vergangenes Jahr zur rot-roten Koalition in Brandenburg geäußert. Etwa so: Stasi-Spitzel haben ihre Mitmenschen verraten und sie in Gefahr gebracht. Wer bestimmte Grundsätze einmal verlassen hat, ist dazu unter Umständen wieder fähig.
Natürlich, ein öffentliches Amt bietet auch die Möglichkeit des Machtmissbrauchs.
Kann ich Dir noch etwas über Potsdam entlocken?
In Potsdam habe ich zu meinem Sohn gesagt: Springe nicht. Aber er springt von einer Bank zur anderen und stößt sich die Schienbeine auf. Warum stellt Potsdam die Bänke so weit auseinander? Das ist doch ein versteckter Sadismus, der dieser Stadt innewohnt. (Lacht) Reicht das?
www.potsdamermauerverlauf.de
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