Kultur: Herzsprung und Gsponer im Thalia
Auf der Leinwand zündelt es schnell in den Augen von Hannah Herzsprung vor Wut und Jähzorn. Nicht unbedingt nur für ihre Anmut und Schönheit gilt die 25jährige Schauspielerin als Entdeckung des Jahres, die gleich zweimal für diese außergewöhnliche Emotionalität den Deutschen Filmpreis nominiert wurde.
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Auf der Leinwand zündelt es schnell in den Augen von Hannah Herzsprung vor Wut und Jähzorn. Nicht unbedingt nur für ihre Anmut und Schönheit gilt die 25jährige Schauspielerin als Entdeckung des Jahres, die gleich zweimal für diese außergewöhnliche Emotionalität den Deutschen Filmpreis nominiert wurde. Im ausgezeichneten Gefängnisdrama „Vier Minuten“ rennt sie als Jenny gegen Scheiben. Hannah Herzsprung kann in jedem Moment hochgehen wie eine Bombe. Impulsiv, gefährlich, lodernd.
Im Thalia-Kino stellte sie ihren zweiten großen Kinofilm „Das wahre Leben“ vor, für den sie auch für die beste Nebenrolle nominiert wurde. Nun steht sie neben ihrem Regisseur, dem jungen Schweizer Alain Gsponer. Ganz lieb und ungekünstelt sagen sie Hallo und erzählen von ihrer Arbeit, als seien sie unter Freunden in Berlin Mitte, wo beide zur Zeit leben.
Begegnungen wie diese sind selten, und so vielleicht nur im Potsdamer Thalia möglich. Herzsprung, die in diesem Familiendrama an der Seite einer großartigen Katja Riemann die suizidale Florina spielt, wird mit großer Sicherheit vom Erfolg fortgerissen werden. Auch mit Gsponer wird man so entspannt nicht mehr lange plaudern können. Kurz vor „Das wahre Leben“ drehte er mit Corinna Harfouch, dann flog er mit Daniel Brühl spontan nach Ibiza, um den Schweizer Autor Martin Suter davon zu überzeugen, dass sie die Richtigen für die Verfilmung seines Bestsellers „Lila, Lila“ wären. Herzsprung und Gsponer scheinen von dem rasanten Erfolg ihrer Arbeit noch unberührt. Nur die Welt um sie herum kann einfach nicht anders, als hier zwei Ausnahmetalente zu sehen, zwei kommende Stars, die bald schon in der medialen Unerreichbarkeit verschwunden sein werden.
Denn „Das wahre Leben“ ist ein großer Film. Weil er Katja Riemann an der Seite von Ulrich Noethen eine Rolle anbot, die so gar nichts mehr mit dem blonden „Superweib“ zu tun hat, das man seit den Komödien der 90er zu kennen glaubte. „Ich wollte keine blonden Haare, ich hatte richtig Angst davor“, sagte Gsponer grinsend, und färbte Riemann schwarz.
Hannah Herzsprung, die zuvor eher in kleineren TV-Rollen zu sehen war, lernte ihre bekannte Kollegin von der besten Seite kennen. Nicht als Diva, sondern als Profi, die sich bei einer Schlüsselszene das Bein verdrehte und einfach die Zähne zusammenbiss. Am nächsten Tag wurde das Bein operiert.
Eigentlich sollte der Film „Bumm“ heißen, denn neben der Teeniefurie, die Herzsprung spielt, fliegt noch einiges mehr in die Luft. So die Bomben, die Riemanns Filmsohn Linus baut, die Vogelhäuser und Michelangelo-Statuen in den bürgerlichen Gärten zerfetzen. Vor allem aber die Familien Spatz und Krüger, deren stetige Atomisierung eine ganz andere Sicht auf die staatliche Familienförderung eröffnet. Familie, das kann eine Gnade sein, häufig ist es auch einfach nur Horror. Der Drehplan verlangte von Hannah Herzsprung, gleich am ersten Drehtag ihre Haare abzurasieren und dann mit Perücke weiterzuspielen. Im Film markiert die Szene jenen Moment, der Herzsprungs Wandlungsfähigkeit unterstreicht, plötzlich eine Urgewalt an Aggression unter der lieblichen Oberfläche zu entfesseln. „Wir erzählen die Geschichte einer Familie“, sagt Gsponer, und die bestehe, wie das „wahre Leben“, immer aus vielen kleineren. Das Unglück nimmt seinen Lauf, als Vater Roland Spatz (U. Noethen), ehemals Topmanager, seine Arbeit verliert und erstmals in zwölf Jahren wieder miterlebt, was in seiner Familie so alles vorgeht. Sohn Charles hat gerade sein schwules Coming Out beim Bund. Linus experimentiert mit wirklichem und sexuellem Sprengstoff. Die Krüger von nebenan sind sogar schon weiter. Der Tod von Florinas Bruder ersticken sie in Alkohol und Depression.
Gsponers Film ist ein undeutscher Film, weil die Satire unterschwellig mitläuft, und nie die typische brachiale Komödienkomik durchbricht. „Wir brauchen Mundpropaganda“, bittet Gsponer die Gäste des Thalias höflich, aber unnötig. Sicher hat der Erfolg den Regisseur auch hier schon überholt.
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