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Von Heidi Jäger: Hinter breiten Schultern

Laila Stieler, Andreas Dresen und Andreas Höfer über ihr HFF-Studium und die Wendezeit

Stand:

„Nicht die lange, treue Ehe ist das Erfolgsrezept, sondern das gute Fremdgehen dazwischen“, sagt der Potsdamer Kameramann Andreas Höfer, als er auf der Podiumsdiskussion bei den „Sehsüchten“ nach dem Rezept für die gute Zusammenarbeit der „Dresen-Familie“ gefragt wurde. Er selbst ging 2006 eine Liaison mit Volker Schlöndorff ein und erhielt für „Strajk – Die Heldin von Danzig“ den Bayerischen Filmpreis für die beste Bildgestaltung. Und ausgerechnet mit Schlöndorff liegt sein Freund, der für die älteren DDR-Filmer Partei ergreifende Andreas Dresen, derzeit im Clinch. Schließlich hat der „Westregisseur“ das DEFA-Erbe verspottet: Schlöndorff nannte pauschal alle Filme furchtbar und bekannte, dass er mit seinen Kommilitonen im Paris der 60er Jahre nur über sie gelacht hätte. Inzwischen ist das Bild wieder etwas gerade gerückt. Vor wenigen Tagen erhielt Andreas Dresen auf seinen „Zeit“-Artikel vom 16. April, der das deutsch-deutsche Filmverhältnis kritisch analysiert, einen zweiseitigen Brief von einem Filmregisseur aus München. „Der bekannte, dass nicht alle Westregisseure wie Schlöndorff ticken.“ Er hätte viele DEFA-Filme, wie „Die Kinder von Golzow“, sehr bewundert. Die wären im Westen gar nicht möglich gewesen. Während Höfer die Äußerung Schlöndorffs als unbedacht einordnet und sagt: „Der denkt nicht so“ und sei nur zu stolz, seine Äußerung zurückzunehmen, entgegnet Dresen unversöhnlich: „Dann ist das peinlich.“

Dieser kleine Disput am Rande des am Sonntag zu Ende gegangenen Studentenfilmfestivals scheint wie eine Fortsetzung eines anderen lautstarken Affronts. Der liegt über 20 Jahre zurück und ereignete sich auf dem Studentenfilmfestival der HFF zu DDR-Zeiten. Damals waren Laila Stieler, Andreas Dresen und Andreas Höfer noch selbst Studies. Jetzt erinnerten sie sich auf der Bühne im Thalia lebhaft, wie damals die Filmhochschule aus München kurz vor der Wende ihre Festivalbeiträge in Potsdam präsentierte, bis es fast zu einer Prügelei kam. „Wir waren hoch politisiert und die hatten nichts Besseres zu tun, als total seichtes Zeug wie einen Film über Ken und Barbie zu zeigen. Wir waren fassungslos. Schließlich endete die Diskussion in einem richtigen Geschrei“, so die Drehbuchautorin Laila Stieler.

Die während der Sehsüchte-Retrospektive gezeigten studentischen Arbeiten des Trios ließen noch einmal an den Schmauch des damaligen politischen Pulverfasses riechen. Wie beim Dokumentarfilm „Was jeder muss ...“ über das restriktive Leben hinter den Kasernentoren der NVA, das Höfer sogar an den Gulag erinnerte. „Gorbatschow war schon an der Macht, es wurde über den Abbau der Mittelstreckenraketen verhandelt, und selbst wir Frauen mussten noch im Zivilverteidigungslager Krieg spielen. Das frustrierte total: Gasmasken, Marschieren, Schießen“, so Stieler. Nicht anders als Dresen und Höfer, die sich bei der Armee kennenlernten. „Es ging dann wohl etwas mit uns durch“, so Dresen. Als die ungeschönte NVA-Polemik auf dem Filmfestival in Neubrandenburg das erste Mal lief, sei es zum Eklat gekommen, Politoffiziere beschimpften sie als wehrkraftzersetzend. „Es war damals für uns allerdings auch leicht, die große Lippe zu riskieren, denn wir wussten die breiten Schultern von unserem Rektor Lothar Bisky hinter uns.“

Der wollte trotz des politischen Sprengstoffs und der mittleren Eiszeit, in der sogar die russische Zeitschrift „Sputnik“ 1988 verboten wurde, den Film dennoch auf dem Dokumentafilmfestival Leipzig zeigen. „Da beschlossen wir als Studenten, den Film zurückzuziehen, aus Angst, dass wir Lothar verlieren könnten. Es gab sogar Bestrebungen, uns von der Schule zu schmeißen. Bisky musste bis zum Zentralkomitee, und wir haben davon nichts gemerkt.“ Immer wieder stimmte Dresen am Sonntagabend ein Loblied auf Lothar Bisky an, der im September 1989 vor seinen Studenten sogar die Vertrauensfrage stellte. „Er ließ sich von uns demokratisch legitimieren und wurde einstimmig gewählt. Ein extrem berührender Moment. Wir spürten das erste Mal Demokratie. Mit dieser Energie hat er uns durch die Wendezeit geführt.“

Nach dem Mauerfall, der alles veränderte, von der Zahnpasta bis zur Ideologie, lief es nicht unbedingt in die von ihnen gewünschte Richtung. „Wir demonstrierten in Leipzig gegen die Wiedervereinigung und forderten zum Entsetzen derer, die ,Wir sind ein Volk’ riefen, die Konföderation“, so Dresen. Auch an der Hochschule lief es nicht so, wie sie es sich vorstellten. Bisky, einer der größten „Nörgler“ in der SED, bekannte Farbe, und übernahm selbst Verantwortung in der Partei. „Die Schule verlor unter seinem neuen Rektor nach 1990 mit jedem Tag den Reformwillen. Biskys Schwung hätte der Schule gut getan,“ so Dresen, der 1991 die HFF verließ.

„Und wie wirkte sich die Umbruchphase schließlich auf die Absolventen aus?“, fragte ein Zuschauer im halb gefüllten großen Saal. „Wenn die Wende nicht gekommen wäre, hätten wir gar nicht zusammen arbeiten können“, sagt Andreas Höfer. Denn er und Laila seien vom Fernsehen der DDR delegiert worden, Andreas Dresen vom DEFA-Studio für Spielfilme. „Die Grenze zwischen den Betrieben war zu hoch. Ich hätte vermutlich Polizeirufe gemacht, Leila heitere Dramatik und Andreas bis 40 gebraucht, um seinen ersten Spielfilm zu drehen,“ so Höfer. Denn bei 17 DEFA-Filmen im Jahr musste man lange warten, um sein Debüt zu starten.

Dresen war fünf Jahre in der Warteschleife, um überhaupt studieren zu dürfen. Erst kam eine Ablehnung, beim zweiten Versuch eine Einladung zum damaligen DEFA-Generaldirektor Mäde. „Ich stand gerade in den Startlöchern zu einer Tramptour, als mich das Telegramm erreichte. Mit Jesuslatschen, Zimmermannshut und kurzen Hosen betrat ich das Büro, wo schon 20 DEFA-Regisseure, die Helden meiner Jugend, saßen. Ich wusste nicht, wohin ich mich verkriechen sollte. Zwei Stunden schwitzte ich in meinen kurzen Hosen.“ Das Schwitzen hatte sich gelohnt, er wurde Volontär und schließlich nach weiterer Wartezeit und Aufnahmeprüfungen endlich Student. Von der Kantine in ihren „schlafmützigen Villen“ schauten sie den Grenzern direkt in die Augen. „Es waren nur ein paar hundert Meter bis ins Sehnsuchtsland.“ Doch bis die S-Bahn nicht mehr rund um Berlin fuhr, sollte es noch ein paar Jahre dauern.

Die filmischen Versuche, in denen sich Dresen nach der Wende mit der DDR beschäftigte, fanden nicht das breite Publikum. „Stilles Land“, „Raus aus der Haut“, und „Das andere Leben des Herrn Kreins“ reichten nicht an die großen Erfolge von „Halbe Treppe“, „Sommer vorm Balkon“ oder jetzt von „Wolke 9“ heran. Doch Dresen möchte trotz Resignation über die Zuschauer-Flops nicht hinnehmen, dass ein Film wie „Das Leben der anderen“ von Henckel von Donnersmarck die Rolle einnimmt, „als wäre so unsere Geschichte gewesen“. „Dieser Film hat mit der DDR so viel zu tun wie Hollywood mit Hoyerswerda“, schrieb er. Doch wie er auf PNN-Nachfrage sagte, denke er darüber nach, es vielleicht noch einmal mit einer filmischen DDR-Auseinandersetzung zu versuchen: den eigenen Erfahrungen vertrauend und denen seiner „Familie“.

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