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Von Klaus Büstrin: Hintergründiges und Abgründiges

Der russische Pianist Nikolai Tokarev begeisterte im Nikolaisaal

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Vom Teufel selbst soll der Dichter Aloysius Louis Bertrand die drei kurzen Prosa- stücke erhalten haben. Die Nixe Ondine, die Leiche eines Gehenkten und der Höllenzwerg Scarbo sind darin die Helden. Der französische Komponist Maurice Ravel, dem man gern das Etikett Impressionist anheftet, ließ sich von dem schaurig-schönen Text inspirieren. Er schrieb eines seiner virtuosesten Klavierpartituren: „Gaspard de la nuit“ (Schatzmeister der Nacht). Das Werk benötigt jedoch einen Pianisten, der den hohen technischen und interpretatorischen Anforderungen gerecht wird.

Nikolai Tokarev ist solch ein Pianist. Der Sechsundzwanzigjährige stammt aus Moskau und begann schon als kleines Kind unter der Obhut einer Musikerfamilie mit dem Klavierspielen. Er besuchte die berühmte Gnessin Musikschule in der russischen Metropole. Derzeit studiert der im vergangenen Jahr mit dem Echo-Preis für Klassik ausgezeichnete Tokarev an der Düsseldorfer Schumann-Hochschule. Vielen ist bereits jetzt klar, dass er sich in die Reihe der großen russischen Pianisten Emil Gilels oder Swjatoslaw Richter einreihen wird. Er machte am Sonnabend in einem viel umjubelten Klavierabend im Nikolaisaal deutlich, dass er auf dem Wege ist, in die Liga der besten Pianisten einzusteigen. Vor allem mit Ravels „Gaspard de la nuit“ bewies er seine pianistische und künstlerische Potenz. Das sich mit dem Abgründigen beschäftigende Werk bekam unter seinen Händen Tiefgründiges. Traurige Stimmungen, unheimlich suggestive Bilder und koboldhafte Virtuosität wusste Tokarev mit einer Vielzahl von Klangfarben umzusetzen und den ätherischen Höhen setzte er ein handfestes Spiel entgegen. Der Pianist bot mit dieser Interpretation eine aufregende Ravel-Wiedergabe.

Doch bevor der russische Künstler sein virtuoses Musizieren im Konzert weiter ausbaute, erklang zunächst eine Gavotte mit sechs Doubles aus den Neuen Suiten von Cembalostücken des französischen Barockmeisters Jean-Philippe Rameau – auf dem Steinway-Flügel musiziert. Da paarten sich Fingerfertigkeit mit abwechslungsreichem Gestaltungswillen. Das Besondere aber war, dass Tokorev die Melodik klar herausstellte und nicht durch überbeanspruchte Verzierungskünste verdeckte.

Nach der Pause zog er sich aus Frankreich zurück und machte sich in sein Heimatland Russland auf. Klavierbearbeitungen von berühmten Orchesterwerken bestimmten das Geschehen: Modest Mussorgskis „Die Nacht auf dem kahlen Berge“ sowie die Fantasie über die Nussknacker-Orchestersuite von Peter I. Tschaikowski. Auch im Mussorgski-Stück verstand Tokorev das Abgründige der eigenwilligen Musik russischer Hochromantik ins rechte Licht zu stellen. Vor allem das exzessive Treiben der Hexen auf dem kahlen Berg kam effektvoll zum Einsatz. Und zum Abschluss, der natürlich kein Finale war: die Nussknacker-Suite. In Tokarevs Wiedergabe wurde man nicht in das Reich der Süßigkeiten, wie man es dabei gern pflegt, eingeladen, sondern eher in die bizarre Märchenwelt des „Nussknacker“-Erfinders E.T.A. Hoffmann. Denn auch in dem Klavierspiel Tokarevs ging es teilweise hintergründig zu. Man taumelt von einem Tanz zum anderen, immer vorwärtsdrängend, virtuos und abwechslungsreich. Der Beifall war groß. Drei Zugaben gab es, unter anderen die Variationen über ein Paganini-Thema des Moskauer zeitgenössischen Komponisten Alexander Rosenblatt. Dieses Stück mit seinem vielfältigen scharfen Rhythmus und Jazz-Anklängen verlangt einen exzellenten Pianisten. Und Tokarev ist dies ohne Zweifel.

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