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Von Klaus Büstrin: Historisch, bitte schön, soll es sein

Olaf Thiede plädiert in „Gesamtkunstwerk Potsdam“ für das barocke Stadtideal

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In seiner Hommage „Spaziergang in Potsdam“ schreibt der Dichter Georg Hermann. „Lassen Sie mal Haus für Haus passieren. Hier gibt’s viel gute Architektur, kein Bau ringsum, der nicht jeder Betrachtung standhält.“ Das war um 1929. Formenvielfalt ist dagegen in der heutigen Architektur fast gar nicht mehr zu finden, meint der Potsdamer Maler und Grafiker Olaf Thiede in einem Gespräch. „Man irrt in der Gestaltung durch Quadrate. Rundungen gibt es fast keine mehr. Technologisch ,preiswert‘ sollen die Investitionsbauten sein. Durch die Gleichmacherei ist eine Identität der Menschen mit Gebäuden nicht möglich. Einer eingehenden Betrachtung versagen sich also die meisten Bauten, die zu DDR-Zeiten und nach der Wende entstanden“, so Olaf Thiede.

Am Mittwoch präsentierte Olaf Thiede in der Buchhandlung „Das internationale Buch“ seine neueste gedruckte Veröffentlichung, die unter organisatorischer Mithilfe von Markus Wilhelmy erschien. Der Autor nennt die Broschüre „Gesamtkunstwerk Potsdam – Sichtachsen, Geometrie und Rhythmus“. Darin teilt er dem Leser seine Beobachtungen und Überlegungen zu den Gestaltungsprinzipien der barocken Stadt mit. Ein Buch, das, wie Thiede sagt, sich in die aktuellen Diskussion um den Stadtschloss-Wiederaufbau einmischen möchte. Dass die Publikation mit einem Vorwort der CDU-Politikerin Katherina Reiche bedacht wurde, bekommt ihr einen seltsam anmutenden parteipolitischen Touch. Oder war sie Geldbeschafferin für die Druckkosten?

Dem Künstler ist seine Heimatstadt nicht gleichgültig. Auf seinen Bildern hält er immer wieder malerisch die Schönheiten der ehemaligen Residenzstadt und seine gestaltete Umgebung fest. Den Ansichten ist dabei ein sehnsüchtig-melancholischer Blick eigen. Aber er hat nichts Unverbindliches, weil Olaf Thiede sich seit Jahren für die architektonische Wiedergewinnung der historischen Stadtmitte leidenschaftlich einsetzt. Nicht nur mit Bildern, sondern auch mit Publikationen. 2003 veröffentlichte er gemeinsam mit dem Gartenhistoriker Jörg Wacker das Buch „Grün in Potsdam“. Darin laden die Autoren den Leser zu einem Spaziergang durch historische Straßen und Plätzen mit Gemälden, Farbfotografien und Postkarten ein. Ein facettenreiches Bild der barocken und klassizistischen Stadt wird sichtbar. Oder die ungemein informative „Chronologie Potsdam und Umgebung, Brandenburg-Potsdam-Berlin“, in der Thiede und Wacker in drei Bänden die mehr als tausendjährige Kulturlandschaft beleuchten.

Mit seiner neuen Publikation begibt sich Olaf Thiede in ein anscheinend fremdes Terrain, das „nur“ Historikern und Architekten vorbehalten ist. „Ja, ich bin ein Seiteneinsteiger“, sagt der Maler und Grafiker, „aber als Künstler beschäftige ich mich mit der Entwicklung der Jahrtausende alten Kunst- und Kulturgeschichte. Darin sind Philosophie, Literatur, Musik, Wissenschaften, Technik verankert. Das streng Fachgetrennte ist mir ein Gräuel. Ich möchte vernetzen und mit meinen Überlegungen Fragen stellen.“

Einen Blick in die zurückliegende Geschichte wirft Thiede auch in der neuen Edition. Sie beginnt mit dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der nach dem Dreißigjährigen Krieg Potsdam zur Residenz ausbaute. Als Berater für Schloss und Parkanlagen gewann er den Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen, oberster Heermeister des Johanniter-Ordens. Er war verwandt mit dem Hause Oranien, aus dem auch Louise Henriette, Frau des Großen Kurfürsten, stammte. Johann Moritz und Friedrich Wilhelm fanden freundschaftlich zueinander. Das diplomatische Geschick von Johann Moritz , seine Leidenschaft für die Bau- und Gartenkunst, für eine weiträumige Landschaftsgestaltung überzeugten den Kurfürsten.

Das Wort, „das gantze Eyland muss ein Paradies werden, weil die Edelleut, wie ich vernehme, draus sind“ war für den Kurfürsten und auch für andere Hohenzollern-Monarchen Ansporn und Aufgabe. „Johann Moritz von Nassau- Siegen wurde der Inspirator einer modernen und neuartigen Gestaltung des Stadt- und Landschaftsbildes“, sagt Olaf Thiede. „Mit seinen Erfahrungen, die er aus den Niederlanden und aus Brasilien - dort war er eine Zeit lang General-Gouverneur der Besitzungen der Niederländischen Westindien-Kompanie - mitgebracht hat, schuf er mit seiner Kunst der Sichtachsen-Gestaltung die Grundlagen für die heutige Kulturlandschaft.“ In dem Kartenwerk „General-Carta/Atlas der Herrschaft Potsdam“, das Samuel de Suchodolez 1683 veröffentlichte, sind des Fürsten Ergebnisse bestens erkennbar: Wegeachsen und –sterne. Das Bauen und Gestalten erfolgte strikt nach der Geometrie. Thiede bedenkt diese Kunst in seinen Ausführungen ausführlich, auch den Goldenen Schnitt, in dem sich „das Verhältnis von Balance, Harmonie und Symmetrie“ zeigt. Und dann sind selbstverständlich das Stadtschloss und das Kirchendreieck (Heiligengeistkirche, Nikolaikirche und Garnisonkirche) Hauptthemen des Autoren. Sie bestimmten, wie auch woanders, die Struktur der Stadt.

Wie geht es mit Potsdams Innenstadt weiter, fragt Thiede. „Es besteht kein Grund, in Potsdams außergewöhnlichem Stadtzentrum irgendwelche Experimente oder Selbstdarstellungen von Stararchitekten hineinpressen zu müssen, ob aus kurzsichtigen politischen Gründen oder gar nur um trotzig, gegen alles Historische‘ zu sein. Dafür ist das Gesamtensemble der Stadt zu wichtig und in seiner Einheitlichkeit, bei Berücksichtigung aller historischen Brüche, zu wertvoll“, sagt Thiede.

Olaf Thiede, Gesamtkunstwerk Potsdam, Eigenverlag, 10 Euro

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