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Von Heidi Jäger: „Ich bin eine Hexe“

Eine Ausstellung im HBPG erinnert an die Avantgarde-Künstlerin Valeska Gert

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Sie trug noch rabenschwarzes Haar und einen knallroten Mund, als sie schon um die 80 war. Und auch ihrem Körper schenkte sie nichts bis ins hohe Alter. In ihrem legendären Sylter Künstlerlokal „Zum Ziegenstall“, in dem die Schauspieler Gert Fröbe und Peter Frankenfeld ein- und ausgingen, tanzte Valeska Gert ausgelassen auf Stroh, das sie auf den Fußboden streute, beleuchtet von flackernden Kerzen auf bauchigen Weinflaschen. „Ich will leben, auch wenn ich tot bin“, schrieb die extrovertierte Tänzerin in ihren Erinnerungen „Ich bin eine Hexe“. Dieses Zitat steht auch über der Ausstellung zu Leben und Werk Valeska Gerts, zu der das Moses Mendelssohn Zentrum ab morgen ins Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte einlädt.

Valeska Gert (1892-1978) zählt neben Mary Wigman zu den wichtigsten Vertreterinnen des avantgardistischen Tanzes in den 1920er Jahren. Sie war zudem ein gefragter Stummfilmstar, der als Puck im „Sommernachtstraum“ an der Seite von Hans Albers spielte oder 1931 in der „Dreigroschenoper“ neben Willy Fritsch agierte. Auch Filmgrößen wie Federico Fellini, Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff holten sie später vor die Kamera. Doch kaum einer weiß das noch. Wieso aber geriet diese begnadete Künstlerin, die durch ihre gelebte Verbindung von Tanz, Schauspiel, Gesang und Kostüm bis heute Künstler beeinflusst, weitgehend in Vergessenheit?

Für die Ausstellungskuratorin vom Moses Mendelssohn Zentrum, Elke-Vera Kotowski, liegt das klar auf der Hand. „Valeska Gert ereilte das Schicksal vieler Emigranten. Einst gefeierter Star, konnte sie nach dem Krieg nicht mehr an ihrem ganz großen Erfolg anknüpfen. Eine gebrochene Biografie.“ Was hätte aus ihr werden können ohne die Zäsur 1933? Gerade diese gesellschaftlichen Umstände sind es, die diese Ausstellung in Fotografien, Collagen, Skulpturen sowie in Schrift- und zum Teil erstmals hörbaren Tondokumenten nachspüren möchte.

Als die Jüdin Valeska Gert, deren Eltern schon vor der Nazizeit verstorben waren, 1933 mit Berufsverbot belegt wurde, reiste sie nach London und Paris, um dort als Ausdruckstänzerin und Kabarettistin aufzutreten. Als auch das nicht mehr möglich war, emigrierte sie 1938 in die USA. Sie ging nach Hollywood, in der Hoffnung, weiter arbeiten zu können. Doch dort gab es bereits genügend gestrandete deutsche Schauspieler. Also gründete Valeska Gert ihre Beggar-Bar (Bettler-Bar). Einer ihrer ersten Mitarbeiter war Tennessee Williams, der wie sie nicht nur kellnerte, sondern auch schauspielerte. „Die heute berühmte Dinnershow Pomp Duck and Circumstance ist also bereits eine Erfindung von Valeska Gert“, sagt die Kuratorin und erzählt, dass der „Beggar-Sip“, ein Kaffee mit Eierlikör, zum Verhängnis der Tänzerin wurde. Valeska Gert musste ihr Café schließen, da sie keine Lizenz zum Ausschenken von Alkohol hatte. Zu dieser Zeit war eine solche Lizenz nur schwer zu bekommen. „Vielleicht war es auch eine Form von Schikane“, mutmaßt Elke-Vera Kotowski.

Als es das Viermächte-Abkommen ermöglichte, kehrte die Tänzerin 1949 nach Deutschland zurück, in das Land ihrer Sprache. Doch die Zeiten hatten sich geändert, das Berlin der 20er und 30er Jahre war nicht das der 50er. Ihre „Hexenküche“ am Kudamm, in der nun der noch unbekannte Klaus Kinski kellnerte und Villon-Texte rezitierte, wurde dennoch schnell zum Magneten der Westberliner Szene. Doch als Valeska Gert in der Rolle der berüchtigten Aufseherin Ilse Koch, der Frau des Lagerkommandeurs von Buchenwald, auftrat, machte sie sich nicht nur Freunde. „Sie brachte auf die Bühne, was totgeschwiegen werden sollte. Immer wieder legte man ihr Steine in den Weg“, so Elke-Vera Kotowski. Als die bisexuelle Künstlerin versuchte, die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus zu bekommen, schmetterte man ihren Antrag mit der Begründung ab: „Sie waren doch mit einem Engländer verheiratet.“ Doch ihre Ehe mit einem Bühnenautor, der sie verehrte, war nur ein Schutz gegen die braune Gefahr.

Da die Berliner Luft in den 50ern für politisches Kabarett zu dünn war, ging die gern provozierende Künstlerin nach Sylt und eröffnete dort in einem typisch reetgedeckten Kampener Haus ihr Nachtlokal. Auch Kinski mischte wieder mit auf dieser Insel der Besserverdienenden mit dem Hauch der großen weiten Welt. Und die Grande Dame, die immer ein bisschen geizig war, fand auch den Weg zurück zum Film, wenn meistens auch nur in Nebenrollen, wie bei Fassbinder und Fellini. 1972 bekam Valeska Gert den Deutschen Filmpreis für ihr Lebenswerk.

Volker Schlöndorff zeichnete kurz vor ihrem Tod in dem Dokumentarfilm „Nur zum Spaß, nur zum Spiel“, der am 6. Mai im Filmmuseum läuft, noch einmal das Leben dieser Frau nach, die es nie leicht gehabt hat, sich aber immer treu geblieben ist. „Während die Tänzerin Mary Wigman in Deutschland geblieben ist und ein bisschen das Völkische annahm, blieb Valeska Gert der Avantgarde treu, erspürte immer und überall den Zeitgeist. Mainstream war ihr fremd“, betont Elke-Vera Kotowski. In ihren Recherchen über den einstigen Star entdeckte sie, dass Valeska Gert es verstand, das Leben der Großstadt in Tanz umzusetzen: die Nervosität, den Verkehr. „Sie war die Sasha Waltz der 20er Jahre“. Was der Maler auf die Leinwand brachte, tanzte die Begründerin der Groteske auf der Bühne. Edvard Munchs „Der Schrei“ als Signum des Expressionismus gab es auch bei ihr. Valeska Gert tanzte die Salomé und den Tod. Zeitlebens habe diese Künstlerin provoziert und die extremsten Gefühle zur Schau gestellt, so die Kuratorin. Und dabei alles bis zur Erschöpfung gegeben. Tucholsky schrieb in der „Weltbühne“ über diese nur ein Meter fünfzig messende, stark geschminkte Clowngestalt mit der elektrisierenden Ausstrahlung: „Was für eine dolle Nummer. Was für eine großartige Frau“.

Die Ausstellung eröffnet am heutigen Dienstag um 19 Uhr im Kutschstall des HBPG, Am Neuen Markt 9, und wird dort bis zum 16. Juni zu sehen sein

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