Die Prinzessinnen sind zurück. Im Kino. Aber anders. „Merida“, „Frozen“ oder „Malificent“ – eine ganze Reihe zeitgemäß aufgefrischter Märchen lässt die jungen Heldinnen selbst entscheiden, wie viel Prinzessin sie eigentlich sein wollen.
Auf den ersten Blick wirkt da „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ höchst altmodisch. Der Film beruht auf „Taketori monogatari“, einem Märchen aus dem 10. Jahrhundert, Japans ältester schriftlich überlieferter Erzählung.
Ein armer Bambussammler findet im Wald ein winziges Baby. Verblüffend schnell wächst es zu einer jungen, auffallend hübschen Frau heran. Als der Bambussammler auch noch einen Schatz findet, ist er sicher: Er muss seiner angenommenen Tochter ein Leben als Prinzessin bereiten. Gegen ihren Willen ziehen sie in die Stadt. Aus dem wilden Findelkind wird die traurige Prinzessin Kaguya.
Regisseur Isao Takahata ist – neben dem ungleich bekannteren Hayao Miyazaki – einer der Gründer des legendären japanischen Animationsstudios Ghibli. Miyazaki hat sich bereits mit „Wie der Wind sich hebt“ (2013) verabschiedet. Und auch der 79-jährige Takahata („Die letzten Glühwürmchen“) dürfte mit „Kaguya“ sein Lebenswerk abschließen – 14 Jahre hat er sich Zeit gelassen für diesen Film.
„Prinzessin Kaguya“ wirkt wie ein Alterswerk im besten Sinne. Nur scheinbar ist dies ein schlichter Film – dezent, skizzenhaft, mit Wasserfarben, Kreide oder Tusche wie aufs Seidenpapier geworfen. Die Animation ist anspruchsvoll: Üblich sind sonst in handgezeichneter Animation nur starre Hintergründe. Für „Kaguya“ wurde ein neues Studio bezogen, um das gesamte Bild sacht mit Leben füllen zu können. Zugleich ist die Staffelung, ganz der traditionellen japanischen Malerei verpflichtet, vorsätzlich zweidimensional. „Kaguya“ ist anders als alles, was in den letzten Jahren an Animation im Kino zu sehen war, anders auch als die Filme aus dem Hause Ghibli. Jedes Bild, jede Bewegung ist von bezaubernder Anmut.
In Momenten höchster Aufregung lösen sich die – ohnehin oft nur angedeuteten – Konturen nahezu auf. Als Kagaya einmal ausbricht, durch Nacht und Wald flieht – oder fliegt? – und sich dabei ein leuchtendes Gewand nach dem anderen vom Leib reißt, zerfransen Linien und Farben fast ins Abstrakte. Allein dieses kurze Stück ist ein Wunder für sich.
In „Kaguya“ herrscht ein – manchmal schmerzhaft – klarer, aber immer vergebender Blick auf die Menschen und ihre Fehler. Es ist ein Blick, der gerade in Alltagsverrichtungen seinen Ausdruck findet – nur in Japan nimmt man sich übrigens die Zeit, derlei nicht handlungsrelevante Kleinigkeiten mühevoll zu animieren. Dieser mild-realistische Ton ist insgesamt charakteristisch für das japanische Kino, aber gerade bei Altmeistern kippt er gerne ins altväterlich Sentimentale. Isao Takahata gelingt eine ganz exquisite Melancholie.
Dabei entsteht die Schwermut keineswegs aus dem tausendfach durchexerzierten Gegensatz zwischen pervertierter Zivilisation und pastoraler Ursprünglichkeit; in Takahatas Version des Märchens ist er nur eines der Mittel, um die Erzählung weit aufzuspannen. Diese Prinzessin ist ja nicht von hier. Sie erlebt und erleidet beide Welten, freien Jubel und nach innen gerichteten Kummer. Takahata hat das verstanden. Sein Film handelt nicht von einer Prinzessin. Sondern vom Glück und Schmerz des Menschseins.Sebastian Handke
Im Thalia Filmtheater in der Rudolf-Breitscheid-Straße 50.
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