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Interview zu Sprotte: „Ich sah gewissermaßen durch Hitler hindurch“

Jutta Götzmann, Direktorin des Potsdam Museums, über den Maler Siegward Sprotte in der Zeit des Nationalsozialismus.

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Frau Götzmann, die Retrospektive zum 100. Geburtstag des Potsdamer Malers Siegward Sprotte zeigt Werke aus den Jahren 1929 bis 2003 und umfasst, wie Sie bei der Eröffnung am Wochenende sagten, das gesamte 20. Jahrhundert. Wie haben sich dementsprechend politische Entwicklungen und auch die Zeit des Nationalsozialismus in seinen Werken niedergeschlagen?

Wir sind von dem malerischen Werk des Künstlers ausgegangen, das über die Stiftung in allen wichtigen Schaffensphasen vorliegt, ergänzt um Leihgaben. Sprotte hat sich zeitlebens als Maler gesehen. Unser Hauptanliegen ist also das malerische Werk, das wir in zentralen Themen und Werkgruppen der Öffentlichkeit vorstellen. Der literarische und philosophische Kontext ist ein weiterer Aspekt, den wir herausstellen und im Rahmenprogramm wiederaufgreifen. Uns ist es um den künstlerischen Kontext und den interdisziplinären Ansatz gegangen. In der Zeit des Nationalsozialismus sind die frühen Arbeiten des Künstlers entstanden. Eine größere Auswahl präsentieren wir in der Ausstellung. Die propagierte Bildsprache des NS-Regimes ist dort keineswegs zu finden. Allerdings Landschaftsbilder, die der Kriegszeit in ihrer bildlichen Übertragung Ausdruck verliehen haben.

Waren die zeitgeschichtlichen Entwicklungen für den Maler Sprotte dann überhaupt ein Thema?

Neben den Landschaftsbildern kommt die Zeitgeschichte in seinem Werk durch Personen vor, die er zum Dialog aufgesucht und auch porträtiert hat.

Von welchen Personen sprechen wir da?

Ihn haben unterschiedliche Personen der Geistesgeschichte interessiert - das ist der interdisziplinäre Ansatz, den wir wichtig fanden und dem wir in der Ausstellung und im Katalog nachgegangen sind. Politisch gesehen waren darunter Menschen, die sich ab 1933 kritisch positionierten, andere standen der NSDAP nahe oder gehörten ihr an. Der Kreis um Peter Suhrkamp, Hermann Kasack und Oskar Loerke ist der ersteren Gruppe zuzurechnen, ebenso der Florentiner Renaissanceforscher Percy Gothein, der verfolgt und ermordet wurde. Dagegen steht sein früherer Lehrer an der Berliner Akademie, Maximilian Klewer. Der lässt in den frühen Briefen an Sprotte seine deutliche Nähe zum System unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 erkennen und will „eine neue Schule“ an der Akademie einrichten, so wie er es sich seit Jahren gewünscht habe. Sprotte sieht sich selbst nicht darunter. Eugen Herrigel, den er 1953 porträtierte und mit dem ihn die Zen-Philosophie verband, ist 1937 der NSDAP beigetreten.

Äußerte sich Sprotte in seinen frühen Tagebüchern zum Nationalsozialismus?

Das Editionsprojekt der Tagebücher ist keineswegs abgeschlossen, vielleicht lässt sich auch langfristig die Idee eines Archivs verwirklichen, das auch weitere Quellen berücksichtigt. Auf den mehr als 400 handschriftlichen Seiten, die wir bisher bearbeitet haben, sind nur ganz wenige Einträge zur politischen Situation zu finden. In der Medienstation und im Begleitprogramm werden sie vorgestellt. Zwei Beispiele: Ist durch den „Tag von Potsdam“ seine Hochachtung vor historischen Tagen, wie er sagt, noch um ein Erhebliches gestiegen, äußert er sich über eine Ausstellung der NS-Kulturgemeinde Berlin, die im Januar 1935 von Alfred Rosenberg eröffnet wurde, mit ziemlichem Entsetzen. Wörtlich: „Schauderbar! Wie taten die Augen weh! Das also soll hoffnungsvolle „deutsche Kunst“ sein? Es steht schlimm in Deutschland! Herr Rosenberg stellt national-teutschen Kitsch aus, Herr Goebbels auf der anderen Seite befördert den Kulturbolschewismus.“ Er schätzt ein, dass sich die Künstler jetzt wohl fünf bis zehn Jahre gedulden, und bis dahin zurückgezogen in der Stille arbeiten müssen.

Trotz dieser Skepsis, insgesamt zehn Werke von Sprotte waren auf der Großen Deutschen Kunstausstellung 1939, 1941, 1942 und 1944 vertreten. Sie erwähnen die Beteiligung in ihrem Katalog. Was sagt das über Siegward Sprottes Verhältnis zum Nationalsozialismus aus?

Die Ausstellung im Haus der Kunst in München diente der Kunst- und Kulturpropaganda des NS-Regimes und jede Teilnahme hat das Anliegen unterstützt. Am Beispiel des Potsdamers Ernst Ludwig Kretschmann habe ich begonnen, die gespaltene Biografie aufzuarbeiten. Von Sprotte waren Porträts und Landschaftsdarstellungen ausgestellt, darunter sein Selbstporträt, das Porträt der Schwester und Porträts Tiroler Bauern, unter anderem von der befreundeten Familie in Colfosco, zu der Sprotte eine enge familiäre Bindung hatte. Unter den ausgestellten Künstlern in München befand sich aber auch beispielsweise Otto Modersohn. Nicht alle der vertretenen Künstler waren systemkonform. Über Georg Kolbes schwierige Positionierung in der NS-Zeit ist lange diskutiert worden. Sprotte erwähnt den „Tag der deutschen Kunst“ und die Kunstausstellung von 1939 in seinem Tagebuch. Von der geringen Präsenz Hitlers war er verblüfft. „Dort, wo der Führer saß, war eigentlich ein luftleerer Raum. Ich sah gewissermaßen durch Hitler hindurch und mußte mir verstandesmäßig klarmachen, daß dort jemand und nur dort sitze.“ Über die deutsche Große Kunstausstellung sind gemäß seines Eintrags „keine Worte zu verlieren“. Dennoch hat er die Ausstellungsmöglichkeit genutzt und war hier mehrfach vertreten, ebenso zum Beispiel auch auf einer Gau-Ausstellung der Mark Brandenburg 1944.

War er überhaupt ein politischer Mensch?

Aus seinem Werk und seinen frühen eigenhändigen Schriften beurteilt, eher nicht. Im Begleitprogramm, beispielsweise in Kurzvorträgen mit Themenführungen, widmen wir uns daher seinem malerischen Werk, gehen aber auch auf Personen seines Umkreises ein. Im Mai und Juli finden szenische Lesungen aus seinen Tagebüchern statt, da werden dann seine geringen politischen Äußerungen Bestandteil des Programms sein, aber unter vielen anderen Themen.

Wenn man die Ausstellung betritt und vor dem Bild „Rosenkohl im Schneefeld“ aus dem Jahr 1941 steht, ist dann da nicht eine sehr deutliche Position des Malers Sprotte zum Krieg zu erkennen?

Die Landschaftsdarstellungen, die in den 1940er-Jahren und somit in der Kriegszeit entstanden sind, tragen da eine klare Handschrift. Die Aussage dieser Gemälde ist eindeutig, sie mahnen an und spiegeln die Bedrohung. Sprotte, der sonst die ständigen Prozesse der Erneuerung und des Wachstums in den Mittelpunkt stellte, schafft eine düstere Vision, die jede Regeneration im Keim erstickt, denn die Pflanzen sind erstarrt. Ich habe nur einen Künstler gefunden, der es ähnlich gemacht hat, und das ist Fritz Winter. Er war zwischen 1940 und 1944 an der Ostfront und hat wie Sprotte pflanzlich verschlüsselt gearbeitet. Seine Erfahrungen in diesem Krieg verarbeitete er zeichnerisch in seinem Kriegstagebuch.

Lässt sich das Gemälde „Rosenkohl im Schneefeld“ nicht sogar als Interpretation eine erstarrten Schlachtfeldes lesen, in dem sich das sinnlose Kämpfen und Töten spiegelt?

Diese Bild ist ein eindeutiges Statement. Aber es muss nicht das Schlachtfeld sein, dieses Gemälde kann auch die Auswirkungen, die Bedrohungen dieser Zeit darstellen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Die Ausstellung „Die Welt farbig sehen. Siegward Sprotte Retrospektive“ im Potsdam Museum, Am Alten Markt, ist bis zum 14. Juli immer dienstags bis sonntags, 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro. Der Katalog zur Ausstellung kostet 23 Euro im Museumsshop

Jutta Götzmann, geb. 1965 in Ascheberg in Nordrhein-Westfalen, studierte Kunstgeschichte an der Universität Münster. Seit Herbst 2008 leitet sie als Direktorin das Potsdam Museum.

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