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Kultur: „Ich warne vor Hurra-Optimismus“

Thomas Schulz vom Potsdamer Kulturforum Osteuropa über den politischen Umbruch in Polen

Stand:

Herr Schulz, Sie beschäftigen sich mit der deutschen Kulturgeschichte in Polen, was erwarten Sie für Ihre Arbeit von dem bevorstehenden Regierungswechsel in Polen?

Ich kann nicht sagen, dass wir in den zwei Jahren der Kaczynski-Regierung auf institutioneller Ebene oder bei der Organisation von Veranstaltungen Probleme gehabt hätten. Das Kulturforum hat in dieser Zeit etwa zwanzig Ausstellungen, etliche Podiumsdiskussionen, Buchvorstellungen, Konferenzen und Konzerte in Polen organisiert. Die Zusammenarbeit der Wissenschaftler und Kulturschaffenden wurde von der schlechten Stimmung nicht, beziehungsweise wenig tangiert.

Die antideutschen Töne fanden hier also keinen fruchtbaren Boden?

Ich will die Situation nicht idealisieren. Es waren eine größere Distanz und manchmal auch Befürchtungen zu spüren, etwa in den Verwaltungen, bei neuen Kontakten. Es wurden jedoch keine Projekte abgesagt oder gar die Zusammenarbeit mit uns gekündigt. Die antideutsche aber auch die antieuropäische Kampagne in Polen war auch nicht wirklich nach außen gerichtet, die Kaczynskis wollten damit in der Innenpolitik punkten.

Nun erwarten Sie einen Umbruch?

Die Stimmung wird sich ändern, beruhigen, es werden nun aus Polen sicherlich andere Töne kommen. Doch die Problemfelder bleiben. Die aus der Welt zu schaffen, ist die Aufgabe der Politiker. Das braucht Zeit, Geduld und viel Fingerspitzengefühl.

In den 90-er Jahren gab es eine starke Öffnung für die deutsch-polnische Geschichte in Polen. Hat dieses Interesse gelitten?

Diese Öffnung, das Interesse an der gemeinsamen Geschichte, kam anfangs geradezu wie ein Tsunami über das Land. Man wollte, besonders in den ehemaligen deutschen Gebieten, endlich zu Hause sein. In den 90-er Jahren sagte mir der damalige Rektor der Breslauer Universität, dass er so froh ist, dass die neue Generation der Studierenden die Stadt als ihre annimmt, mit allen Konsequenzen – auch den historischen. Mehrere Initiativen wurden gegründet, unzählige Projekte durchgeführt, viele Bücher geschrieben. Es entstanden enge Partnerschaften, auch mit deutschen Vertriebenen. Und das fruchtet bis heute.

Diese Haltung ist ungebrochen?

Ja, sie ist vielleicht nur etwas ruhiger geworden. Aus der Phase der Sensation sind wir nun fast schon in der Normalität angelangt. Das ist gut so. Es ist schwer zu sagen, welche Auswirkungen die Kaczynski-Regierung darauf hatte, die lokalen Initiativen, die Städtepartnerschaften oder die Zusammenarbeit der Kulturinstitutionen zu erschweren, zu behindern. Die institutionelle Förderung aber, etwa beim Deutsch-Polnischen Jugendwerk, hat gelitten. Es wurde viel Porzellan unnötig zerschlagen. Positiv war das nicht. Aber die Zusammenarbeit wird sich weiter entwickeln. Eine Politik, die nach Feinden sucht, um sich selbst zu behaupten, hat sehr kurze Beine. Die Rechnung haben die Kaczynskis nun bekommen.

Das antideutsche Ressentiment war also nur eine Episode?

In einem solchen Ausmaß wie in den vergangenen zwei Jahren ganz bestimmt. Es wird aber weiter Probleme geben. Jaroslaw Kaczynski und seine Partei werden jetzt eine starke Opposition bilden, die Unterstützung des Staatspräsidenten Lech Kaczynski ist ihnen sicher. Und die antideutschen Töne werden noch zu hören sein, und zwar laut. Schon kurz nach der Wahl hat Jaroslaw Kaczynski Donald Tusk vorgeworfen, dass seine Beziehungen zu Angela Merkel „nicht denen entsprechen, die zwischen Regierungschefs zweier souveränen Staaten üblich“ sind.

Also weiter unruhige Zeiten?

Ich warne vor einem Hurra-Optimismus. Deutsche und Polen müssen sich nun als Partner ernst nehmen. Ich kann nur an die deutsche Politik appellieren, jetzt ganz vorsichtig und behutsam vorzugehen. Viele politische Minenfelder sind zu räumen, man muss versuchen, die Sorgen und Ängste der Nachbarn ernst zu nehmen. Die Probleme zu bagatellisieren, sie unter den Teppich zu kehren – das ist keine dauerhafte Lösung. Es gibt nun die Chance, dass sich eine gute Nachbarschaft entwickelt. Aber – man muss die Nachbarn manchmal auch durch ihre Brille sehen.

Jetzt fordert die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach vom künftigen Regierungschef Donald Tusk ein Eingeständnis, dass die Vertreibung der Deutschen ein Verstoß gegen das Völkerrecht war.

Noch schlimmer wäre, wenn sie Tusk von Herzen zu seinem Sieg gratulieren würde. Das würde dann so empfunden, als würden sie gemeinsame Sache machen, weil der Großvater von Tusk in der Wehrmacht war. Die Opposition wartet auf solche „Geschenke“, die scharfe politische Munition sein könnten.

Tusk ist Kaschube.

Ja, er stammt aus einer alten Danziger Familie. Dadurch hat er auch eine hohe Sensibilität für die multikulturellen Grenzregionen in denen viele Nationalitäten, Konfessionen, Sprachen und Kulturen aufeinander trafen und immer noch treffen.

Es gibt einen neuen Vorstoß für ein Dokumentationszentrum der Vertreibung in Berlin. Der richtige Ort?

Der Ort spielt nicht die größte Rolle, die Konzeption des Zentrums ist viel wichtiger, auf die bin ich wirklich gespannt. Welche institutionelle Form soll es haben, in welcher Trägerschaft soll es stehen? Werden die osteuropäischen Wissenschaftler miteinbezogen? Es muss einen solchen Erinnerungsort geben, aber entstehen kann er nur in enger Partnerschaft und Zusammenarbeit mit den Nachbarn.

Ihr Fazit?

Die Probleme zwischen Deutschen und Polen kann man nicht einfach ausblenden. Man sollte aber nicht immer von den Deutschen oder den Polen sprechen. Mein Appell: Man sollte die Telefonbücher lesen, egal ob aus Potsdam, Berlin und Düsseldorf oder aus Kraków, Poznan und Wroclaw. Darin erfahren wir, wer wir sind, wie eng verbunden wir sind. Es ist doch kein Zufall, dass man in Deutschland viele polnische und in Polen viele deutsche Namen findet. Die Nowaks, Szymanskis und Kowalskis hier und die Meiers, Millers und Steinhoffs in Polen. Wir sind enger verwandt, als wir denken.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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