zum Hauptinhalt

Kultur: Ideologiefrei gucken

Filmmuseum zeigte in seiner Reihe zu jüdischen und israelischen Spielfilmen alle drei Fassungen von „Nackt unter Wölfen“

Stand:

Wer in der DDR aufwuchs, kannte Bruno Apitz’ Roman „Nackt unter Wölfen“. Nicht nur weil der antifaschistische Klassiker dort ein Bestseller war, die Geschichte des dreijährigen jüdischen Jungen, der unter den unmenschlichen Bedingungen des KZ Buchenwald von den Häftlingen vor der SS versteckt und gerettet wird, zählte in der Schule zur Pflichtlektüre. Insgesamt dreimal wurde das Buch verfilmt, wobei die 1960 unter der Regie von Georg Leopold entstandene Fernseh-Inszenierung der DDR heute wohl nur noch Filmhistoriker kennen. Frank Beyers gleichnamiger Defa-Film von 1963 dagegen erreichte ein Millionenpublikum. 2014 wurde der Roman für die ARD unter der Regie von Philipp Kadelbach neu verfilmt und in diesem Jahr ausgestrahlt. Er löste Diskussionen über die Erinnerung an die Befreiung von 1945, aber auch generell über unterschiedliche Geschichtsbilder der Verfilmungen aus.

In der Filmreihe „Erinnerung, Religion und Liebe. Internationaler jüdischer und israelischer Spielfilm“, die ein Seminar des Kultur- und Filmhistorikers Frank Stern zum internationalen jüdischen und israelischen Spielfilm am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum begleitet, wurden am Dienstagabend im Filmmuseum nacheinander die Verfilmungen der Defa und der ARD gezeigt. Dies, „damit die Zuschauer sich selbst eine Meinung bilden über die Filme und nicht nur lesen, was in den Medien darüber steht“, so Stern, der mit der Filmhistorikerin Elke Schieber für einen ideologiefreien, unaufgeregten Vergleich beider Filme plädierte.

Erst einmal aber bedurfte es emotionales Durchhaltevermögen, die erschütternden Filmgeschichten hintereinander anzusehen. Wer es aufzubringen vermochte und zum Gespräch blieb, konnte mit einer Fülle von filmhistorischen und gesellschaftspolitischen Hintergründen und Denkanstößen nach Hause gehen.

„Wer ein Leben rettet, rettet die Welt“, zitierte der Filmhistoriker einen uralten Satz der jüdischen Tradition. In diesen Kontext gehört für ihn Frank Beyers Filmklassiker zum deutsch-jüdischen Erbe. Stern betonte, dass der Roman erst sehr spät in die BRD gekommen sei – er wurde zunächst nicht in der BRD verlegt, viele Menschen seien deshalb erst über das Remake von 2014/15 zum ersten Mal mit dem Stoff konfrontiert worden. Franks zentrale Frage war, ob der Film von 1963 heute noch etwas zu sagen hat, was ein Remake so gar nicht sagen kann. Der Schauspieler Erwin Geschonneck beispielsweise, der die Rolle des Lagerältesten Krämer spielt, war während der Nazi-Zeit ebenso KZ-Häftling wie Bruno Apitz selbst, der übrigens in Frank Beyers Film auch eine kleine Rolle hat.

Dass unter den Filmen der DDR, in denen Jüdisches vorkommt, eine ganze Reihe sind, die die Täter in den Mittelpunkt stellen, machte Elke Schieber deutlich: „Die meisten allerdings richten ihren Blick von Ost nach West. Immer stehen im Mittelpunkt Täter. Es sind Fabrikbesitzer, es sind ehemalige Richter, es sind Leute, die in der Nazizeit in irgendeiner Weise Gewalt gegen Juden ausgeübt haben.“ Aber es gab Filme wie „Das zweite Gleis“, der deutlich macht, dass es in der DDR ebenfalls Nazis gab.

Auf die Replik einer Zuschauerin, die Hannah Ahrend mit dem Satz „Auf Gnade kann immer nur der Täter hoffen, aber nicht die Tat“ zitierte, antwortete Stern, es sei die Gefahr des Remakes, mit den Mitteln des Melodrams Versöhnung herstellen zu wollen: „Und das ist ein Problem. Versöhnung, Verzeihung kann individuell sein, aber hier dreht es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Da muss man sehr vorsichtig sein, welches Geschichtsbild im Bezug auf die jeweilige Epoche vermittelt wird.“

Aber auch in den Filmen der Defa stecke ein ganz bestimmtes Geschichtsbild. Beim Vergleich zwischen den Verfilmungen von 1963 und 2014 stellte Stern später fest, dass die Nähe zu den historischen Fakten, die bei Frank Beyer da war, beim Remake verloren gegangen sei. „Wenn das Remake aber dazu führt, dass sich wieder mehr Menschen für dieses Thema interessieren, ist das auch ein Erfolg“, so Stern.Gabriele Zellmann

Gabriele Zellmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })