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Kultur: Im Haus der Pioniere

Die Dinge fügten sich wieder mal aufs Wunderlichste: Obwohl Thomas Marin damals in der DDR ein „Junger Pionier“ war, mied er das Pionierhaus Potsdam, heute Sitz des Treffpunkts Freizeit, mit fast aller Konsequenz. In seinem christlichen Elternhaus hatte man ihm wohl erzählt, was es mit diesem 1953 in Betrieb genommenen Neubau auf sich hatte.

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Die Dinge fügten sich wieder mal aufs Wunderlichste: Obwohl Thomas Marin damals in der DDR ein „Junger Pionier“ war, mied er das Pionierhaus Potsdam, heute Sitz des Treffpunkts Freizeit, mit fast aller Konsequenz. In seinem christlichen Elternhaus hatte man ihm wohl erzählt, was es mit diesem 1953 in Betrieb genommenen Neubau auf sich hatte. Doch ausgerechnet an diesem „ideologisch kontaminierten“ Ort trat er später zu DDR-Zeiten in eine Tanzgruppe ein. Längst Diakon in Stahnsdorf, leitete er hier sogar sein eigenes Projekt. Man quartierte ihn dort ein, wo heute das noch unerschlossene Hausarchiv schlummert.

Am Dienstag war Marin in die „arche“ gekommen, um einen Vortrag über die Entstehung und Geschichte seines kindlichen Vermeidungsortes zu halten. Ein Vorgang mit Orakel-Qualität: Was jemand meiden soll, zieht ihn oft unweigerlich heran.

Vor ihm sprach einer, der den Anblick dieses südlichsten Zipfels vom Neuen Garten konsequent mied, der Bauhausschüler und Architekt Thomas Flake. Sein Konzept eines strengen Baus mit verglaster Fassade für das Pionierhaus wurde von der DDR-Regierung schnöde verworfen. Er fuhr dort nie mehr entlang, so Flake. Im Eiltempo verpflichtete man nun das Trio Lenz, Fischer und Schreck vom „VVB Entwurf und Bauleitung“. Grundsteinlegung war Juni 1950, im Frühling 1953 sollte alles fertig sein. Man baute schon, während am Plan noch getüftelt wurde. Vermissten die Funktionäre über dem Theatereingang einen Balkon für ihre Fanfaren, korrigierte man das flink. Solche „Häuser der Kinder“ zu errichten, war von Anfang an Regierungsabsicht. Für 1951 plante man gleich 29 davon im Arbeiter- und Bauernstaat. Thomas Marin nannte als ideologischen Zweck die „gezielte Vergesellschaftung der Kinder“, respektierte aber zugleich, dass es hier „Kulturangebote ohne Ende“ gab.

Interessant war die Standortsuche: Man schlug die Villa Liegnitz Am Grünen Gitter vor, dann das ehemalige Kino Schopenhauerstraße, das später zum Standort für das Kabarett wurde. Oberbürgermeister Walter Paul wollte sogar das Stadtschloss in ein Kinderhaus verwandeln, scheiterte aber am kraftvollen Veto der FDJ. So wählte man den südlichsten Zipfel am Neuen Garten. Zuvor wurde die gesamte Anlage von der Sowjetarmee noch als Kultur- und Erholungspark genutzt.

Man plante das neue Pionierhaus großzügig. Der Innenbereich sollte die Schwerpunkte Kultur und Sport funktional erfassen, die „Ideologie“ im Pionier- und Traditionszimmer nahm dann tatsächlich den geringsten Platz weg. Bibliothek, Theater, Kabarett, Tanz, Zeichnen, Singen, Funken, Schreiben, Forschen und die Talentförderung standen im Vordergrund. Auch außen hatte man kühne Pläne: Nach Abriss der Gotischen Bibliothek sollten eine Schwimm- und Regattastrecke nebst Bootsschuppen in den Heiligen See hineingebaut werden, „Märcheninsel“ inklusive.

Was die ideologische Kontamination betraf, wählte man nach den brachialen Anfängen subtilere Mittel, wozu neben dem alten Spruch „Kunst ist Waffe“ auch die Übertragung der Trägerschaft an die für die Volksbildung verantwortlichen Räte der Bezirke zählte, die ihrerseits die Schulen aufforderten, besagten Zweckbau zu nutzen.

Dieses Pionierhaus hat ungezählten Kindern eine gediegene und kostenlose Freizeitbetätigung verschafft. Doch blieb es dabei immer auch ein Ort der Ideologie. Gerold Paul

Gerold Paul

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