Kultur: Im Korsett des Andersseins
Lesung aus Buch über Pfarrerstöchter in der DDR
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Es ist ein Thema, das interessiert, auch wenn es nur einen kleinen Kreis betrifft. Doch gerade dieser kleine Kreis erzählt viel über Macht, Einschüchterung, Ausgrenzung, Selbstbehauptung. Sie waren „Töchter der Opposition – Pfarrerstöchter in der DDR“, um die es am Mittwochabend bei einer Lesung in der Friedenskirche geht. An die 100 Zuschauer sitzen vor dem Altarraum. Herausgeberin Barbara Wiesener liest ihr einführendes Essay mit natürlicher, schwingungsreicher Stimme. Man hört die eigene Betroffenheit heraus. Es beunruhigte sie schon, mit „Weisheiten“ wie „Pfarrerstöchter, Müllers Vieh, geraten selten oder nie ...“ aufzuwachsen. Und es kamen neue Musterbilder hinzu, nach denen sie sich richten sollte und die sie oft in Bedrängnis brachten. Beargwöhnt, observiert, gläserne Wände – das gehörte zum Zuhause der Pfarrerstöchter dazu. Sie wurden in eine Rolle hinein geboren, die ihnen oft wie ein Korsett die Luft abdrückte. Manche fügten sich hinein, andere haderten mit ihr, einige zerbrachen an der Last.
Barbara Wiesener lässt in ihrem Buch 14 Pfarrerstöchter zu Worte kommen. Vier von ihnen verleiht an diesem Abend Klaus Büstrin die Stimme. „Das Anderssein hat mich stark und selbstbewusst gemacht“, zitiert er Ingeborg Bresgott. Er weiß, in diesem biografischen Text Akzente zu setzen, leuchtet die lakonischen Sätze bildhaft aus. Bei Ursula Esselbach hat es Jahre gedauert, bis sie nach dem Mauerfall keinen Druck, keine undefinierbare Schwere und Spannung mehr spürte – „obwohl ich in der DDR nicht sonderlich gelitten habe.“ Ihre farbigen Reflexionen greift Klaus Büstrin dankbar auf und gibt seinerseits eine Prise theatralischer Würze hinzu, die aber gar nicht nötig war. Bei Bettina Viebeg, die sich tiefgründig mit dem Vater-Tochter-Verhältnis auseinandersetzte, wägt er die Worte behutsam ab, lässt sie in großer Verhaltenheit um so intensiver wirken. Dennoch wäre es wohl noch authentischer gewesen, die Autorinnen selbst lesen zu hören, denn es ging hier nicht um Literatur, sondern um persönliche Betrachtungen, die keiner perfekten Wiedergabe bedürfen. Auch beim anschließenden Gespräch hätte man gern alle Beteiligten vereint gesehen, um Sichten kreuzen zu lassen.
35 Pfarrerstöchter hatte Barbara Wiesener für ihr Buchprojekt angeschrieben, 25 antworteten. Unter den zehn Absagen befand sich die von Angela Merkel. Wegen Zeitgründen. Einige sagten später ab, weil die Beschäftigung mit der Vergangenheit zu schmerzhaft gewesen sei, so Barbara Wiesener. Nicht jede Tochter arrangierte sich mit dem früh verordneten Anderssein, den Gesetzen des Vaters, den rigiden, staatlichen Bildungsbeschränkungen. Von den anderen Schulkameraden wurden Pfarrerstöchter oft als herausstechend bewundert; wegen ihrer mutigen Haltung, der häuslichen Bildung, dem Selbstbewusstsein. Doch was ging wirklich in diesen Mädchen vor, wenn sie beargwöhnt, ausgeschlossen wurden, nicht an die Oberschule durften? Dieses Buch erlaubt einen Blick in ihr Inneres, beschreibt das Hadern, die Wut und den Schmerz, die hinter dieser aufoktroyierten Sonderstellung lagen. Und noch heute die Gemüter bewegen: nicht nur die der Pfarrerstöchter. Heidi Jäger
„Töchter der Opposition“, erhältlich in der Stiftungsbuchhandlung, 12 €.
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