Kultur: Im Licht der Sonnenblumen
Buch und Film „Alles ist erleuchtet“ beim Jewish Film Festival im Filmmuseum
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„Weise und meschugge zugleich“ sind manch jüdische Geschichten für Brandenburgs ehemaligen Kultur- und Bildungsminister Steffen Reiche. Besonders in dem gefeierten Romandebüt „Alles ist erleuchtet“ von Jonathan Safran Foer. Das sei „Humor mit einem Ernst, der einem den Atem stocken lässt und Ernst mit einer Leichtigkeit, die einen tanzen lässt“. Reiche, der als stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG Potsdam/Berlin) am Freitag zum ersten der beiden Potsdamer Filmabende des Berliner Jewish Film Festival ins Kino des Filmmuseums kam, ließ es sich nicht nehmen, eine kurze Passage daraus vorzulesen.
Das Buch und die an diesem Abend gezeigte Verfilmung von Liev Schreiber erzählen von der Reise eines jungen amerikanischen Juden in die Vergangenheit seiner Familie, die ihn in das ukrainische Heimatdorf seines Großvaters führt. Für Dorett Molitor vom Filmmuseum eines der wichtigen Themen der jungen Generation jüdischer Autoren und Filmemacher. Dabei seien die Handschriften sehr verschieden und würden soviel aussagen über „die unendliche Vielfalt jüdischer Kultur“, ergänzte in ihrem Grußwort Nicola Galliner, Organisatorin des 13. Jewish Film Festivals Berlin, das Dank der Förderung der DIG nun zum dritten Mal in Potsdam gastierte.
Vor dem Film las Schauspieler Andreas M. Schmidt („Sommer vorm Balkon“) aus jenem Teil in Foers Roman, der in mythisch-skurrilen Episoden den magischen Ort Trachimbrot wiedererstehen lässt. Ein Shtetl inmitten wogender Getreidefelder am Flüsschen Brot, in dem die Ururururgroßmutter des Erzählers unter unheilvollen Umständen das Licht der Welt erblickte. Mit feiner, hoher Stimme trieb Schmidt die Unglaublichkeit der Begebenheiten auf die Spitze, malte das Märchenhafte mit warmem Timbre aus und begann dort, wo Zauberei ins Spiel kam, ehrfürchtig zu flüstern. Eine knisternde Poesie und Mystik wie in Márquez“ „Hundert Jahre Einsamkeit“ – versetzt in die ukrainischen Weiten.
Mit diesen Bildern im Kopf begleitete das Publikum anschließend die filmische Suche des jungen Amerikaners Jonathan nach jenem sagenumwobenen Ort Trachimbrot. Ausgestattet mit einem vergilbten Foto und akribisch gesammelten Erinnerungsstücken seiner Vorfahren und Verwandten will er Augustine finden, die seinen Großvater einst vor den Nazis gerettet haben soll. Ein alter Ukrainer und dessen dolmetschender Enkel Alex fahren ihn in einem klapprigen Trabant durch die endlose Landschaft. Inmitten eines flammengelben Meeres von Sonnenblumen schließlich treffen sie auf ein Haus, in dem die Schwester Augustines lebt. Auch sie ist eine Sammlerin und hat in unzähligen Kartons die Habseligkeiten der Einwohner von Trachimbrot aufbewahrt, die von den Nazis erschossen wurden. Nichts wäre sonst von ihnen geblieben als ein Gedenkstein am Flüsschen Brot.
Je näher die Reisenden ihrem Ziel gekommen waren, desto stiller wurde Alex“ Großvater. Auch für ihn wurden schmerzliche Erinnerungen wach. Und Alex, der noch am Anfang glaubte, dass alles, was nicht jetzt ist, von Erinnerungen begraben sein sollte, erkennt am Ende: „Alles ist erleuchtet im Licht der Vergangenheit.“
Antje Horn-Conrad
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